In den kurzen zehn Minuten jeden Tages waren mittlerweile unzählige Dokumente hin und her geschickt worden.
Andreaz Vukinokz war es tatsächlich gelungen, eine beträchtliche Anzahl von World-Science-Mitarbeitern auf seine Seite zu ziehen. Viele hatten an dem Projekt damals mitgewirkt, ohne zu wissen, um was es dabei in Wahrheit ging. Die Vorbereitungen hatten sich wenig von den üblichen Simulationen unterschieden, die jenen Gästen geboten wurden, die sich für eine halbe Million Dollar einen vierzehntägigen Aufenthalt in Futura 3000 leisteten. Das seinerzeit als Unglück dargestellte Verschwinden von zweiundachtzig Personen hatten natürlich alle mitbekommen. Zwar sorgte diese Tragödie für großen Wirbel, aber niemand hatte die offizielle Erklärungs-Version angezweifelt. Wie sich nun herausstellte, gab es genügend gekaufte Augenzeugen. Unmittelbar nach der Katastrophe war die Schließung der Anlage gefordert worden, aber dann war das Thema von einem Sturm, der halb China verwüstete, aus den Schlagzeilen verdrängt worden.
Nach dem »Start« waren sowieso nur noch die Ritter der Tafelrunde über den weiteren Fortgang der Sache informiert. Da das Raumschiff ja völlig autark funktionierte, war von außen kein Agieren nötig. Im Gegenteil: Jedes Eingreifen hätte den Test sofort beendet.
Je mehr Menschen die Gruppe um Andreaz auf ihre Seite ziehen konnte, desto riskanter wurde die Gesamtsituation. Denn mit der Anzahl der Mitwisser wuchs die Gefahr, einen Verräter in den eigenen Reihen zu haben. Andreaz stand zwar immer noch unter Beobachtung, aber je mehr Zeit verging, desto sorgloser wurden seine Überwacher. Nicht umsonst war Andreaz Vukinokz ein Genie auf seinem Gebiet. Alle Informationen liefen bei ihm zusammen. Er ersann immer neue Möglichkeiten, Kontakt mit seinen Mitstreitern aufzunehmen, ohne den Kern der Tafelrunde um Sir James misstrauisch zu machen.
Unter Andreaz Vukinokz' Verbündeten waren auch Juristen. Sie bauten im Verborgenen eine Anklage auf. Sobald ausreichend Material zusammengetragen war, würden sie diese Anklage beim Weltgerichtshof einreichen.
Leider kam die Gruppe um Andreaz nur sehr langsam voran. Das Beweismaterial häufte sich zwar, aber nichts davon war hundertprozentig schlagkräftig. Natürlich würde Andreaz als Zeuge auftreten, genauso wie all die Mitglieder der Raumschiffbesatzung, die zu einer Aussage bereit waren. Ihre Gegner jedoch würden acht Ritter der Tafelrunde sein, dazu sicher diverse zuvor bestochene oder unter Druck gesetzte ehemalige Besatzungsmitglieder. Eine weitere nicht unerhebliche Hürde würde der unzweifelhaft positive Ruf von Sir James Davidson darstellen. Sir James hatte sehr viel Gutes getan, das ließ sich nicht abstreiten. Ganze Landstriche, Städte und Dörfer würden im Bedarfsfall zu seinen Gunsten aussagen. Dass er ganz nebenbei an seinen Wohltaten auch Unmengen Geld verdient hatte, tat diesen Verdiensten keinen Abbruch, hatte er die Gewinne doch sofort wieder der Wissenschaft zur Verfügung gestellt oder in neue Projekte investiert.
Der deutlichste Schwachpunkt bei der Konzeption der geplanten Anklage waren die von jedem Teilnehmer an der vermeintlichen Abenteuerreise unterschriebenen Verträge. Jedem der Auserwählten von Futura 3000 war ein solcher Vertrag vorgelegt worden, der die Organisation davor schützen sollte, für eventuelle Unfälle verantwortlich gemacht werden zu können, die durch grob fahrlässiges Verhalten der Urlauber verursacht wären. Clevere Anwälte hatten diese Verträge allerdings so formuliert, dass sie nun auch völlig anders ausgelegt werden und als Einwilligung der Unterzeichnenden in das Experiment gedeutet werden konnten. Wenn es den Rittern der Tafelrunde dann auch noch gelang, genügend der Teilnehmer dazu zu pressen, dass sie diese Freiwilligkeit bestätigten, dann stand die Anklage auf tönernen Füßen. Auch im Weltgerichtshof galt der Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten. Ein weiterer Fallstrick könnte die Tatsache werden, dass alle zu dem Experiment Gezwungenen eine beträchtliche Summe Geld erhalten hatten, bevor man sie danach in ihr neues Leben entlassen hatte. Die Annahme von Geld ließ immer auf Einverständnis mit einem Sachverhalt schließen.
Letztendlich aber ging es – so begrüßenswert eine Verurteilung und Bestrafung der verbrecherischen Vereinigung auch wäre – Andreaz Vukinokz und seinen Mitstreitern um ein ganz anderes, eher übergeordnetes Ziel. Ein Ziel, das durchaus auch bei einem Freispruch der Angeklagten erreichbar war: Gefahrlos und ohne jede Bedrohung würden die Ankläger mit ihren früheren Familien und Freunden Kontakt aufnehmen können, denn niemand würde es dann noch wagen, ihnen etwas anzutun. Dazu würde ein solcher Prozess viel zu viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregen.
Und in der Tat: Dieser Punkt war der wichtigste, tragendste, der für einen Prozess sprach, wenn man lediglich die persönliche Zukunft der Kläger ins Feld führte. Sah man aber die Gesamtheit der Situation, so würde ein Freispruch den Rittern der Tafelrunde zwar das Handwerk erschweren, sie aber nicht daran hindern, ihre dunklen Machenschaften weiter zu betreiben. Nach einer Zeit der Zurückhaltung konnten sie ihre menschenverachtenden Projekte erneut in Angriff nehmen.
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