Mona Kim Bücher Lose Enden Band 1 Roman
Freitag, 8. Juni 2007, früher Morgen
»Weißt du noch, was wir heute vorhaben?«
Als Krister diese Worte Hanna ins Ohr flüsterte, murmelte sie nur etwas Unverständliches, ohne die Augen zu öffnen. Sanft strich er mit dem Zeigefinger über den kleinen Knick in ihrem Ohr, der ihn von Anfang an so seltsam berührt hatte.
»Du musst nicht mitkommen. Wenn du mir die Stelle beschreibst, finde ich sie auch alleine.«
Der Gedanke, im Bett liegen zu bleiben, war sehr verlockend, aber Hanna widerstand.
Krister, ihrem gemeinsamen Vorhaben entsprechend in Jogginghose und winddichter Jacke gekleidet, hängte sich ein Fernglas um, während Hanna sich die Kleider vom Vortag überstreifte. Den kurzen Weg zu Hannas Wohnung legten sie mit Kristers Auto zurück. Rasch lief Hanna nach oben und kam fast unverzüglich in langer Laufhose und Regenjacke wieder. In der Nacht war es deutlich kühler geworden. Zwar hatte es zu regnen aufgehört, den schweren, dunklen Wolken nach handelte es sich dabei aber nur um eine kurze Erholungspause.
Auf dem Parkplatz der Donauhalle ließen Hanna und Krister das Auto zurück. Von hier aus war es deutlich näher zu dem Treffpunkt der Neonazis als von Hannas Wohnung aus. Schweigend und gleichmäßig liefen die beiden nebeneinander her. Die frische Morgenluft vertrieb schnell die Müdigkeit. Über den Donausteg in der Friedrichsau überquerten sie dann den Fluss und liefen auf der anderen Seite weiter. Schnell und ausdauernd näherten sie sich ihrem Ziel. Plötzlich blieb Hanna abrupt stehen und zeigte zum gegenüberliegenden Ufer. Durch die Umstellung auf die Sommerzeit war es um diese Jahreszeit morgens um halb sechs noch ziemlich dämmrig. Die schweren Regenwolken schluckten das erste Morgenlicht. Dennoch konnte man am anderen Ufer Personen erkennen, die sich dort im Licht der Scheinwerfer der Bewegungsmelder aufhielten. Hanna und Krister waren durch Bäume und Büsche gut verborgen. Krister zückte das Fernglas. Eine Weile studierte er schweigend die andere Uferseite. Durch das Glas war jede Einzelheit eines Gebäudes zu sehen, eine Art Lagerhaus. Vor diesem Gebäude standen mehrere Männer, die meisten rauchten. Sie schienen zu warten.
»Lass mich auch mal durchsehen«, bat Hanna. Krister gab ihr das Glas. Erschreckend deutlich und nahe tauchten die Männer vor ihr auf. Ihr Aussehen charakterisierte sie eindeutig als Skinheads, manche trugen auf ihren Bundeswehr-Parkas sogar Hakenkreuz-Embleme. Hanna schaute sich die Gesichter genau an.
»Sieh mal den Zweiten von links. Der mit dem dunklen Haar. Das ist der, den ich schon mal an der Uni gesehen habe. Heute hat er auch Bundeswehrkleidung an.«
»Ja, ich weiß. Ich habe ihn nach deiner Zeichnung sofort erkannt.«
Die Ähnlichkeit war wirklich frappierend. Genauso gut hätte ihnen Hanna ein Foto dieses Mannes liefern können. Sie gab Krister das Glas zurück. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen.
»Ah! Jetzt scheint sich etwas zu tun. Es ist noch einer dazugekommen. Er schließt auf.«
Im Haus wurde Licht eingeschaltet. Die Gruppe verschwand und die Tür wurde geschlossen. Allerdings war eine Wache draußen stehen geblieben. Krister verbarg das Glas wieder unter seinem Shirt. Dann wandte er sich Hanna zu und fasste sie an den Schultern: »Lauf nach Hause. Ich komme später nach.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Du willst da rüber und versuchen, an das Haus heranzukommen. Ich komme mit. Ich kann dich rechtzeitig warnen, wenn jemand kommt. Die Wache scheint sich nur vorne an der Tür aufzuhalten, aber sicher kannst du dir da nicht sein.«
»Gut, komm mit. Wenn wir hier noch lange debattieren, erfahren wir nichts mehr.«
Sie überquerten die Donau an der nächsten Brücke und näherten sich vorsichtig der Halle. Inzwischen waren sie trotz Regenkleidung ziemlich nass. Krister bedeutete Hanna, an einer Stelle stehen zu bleiben, an der sie den Zugangsweg im Blick hatte und zugleich sehen konnte, wenn sich der Wächter von der Tür weg bewegte. Dann verschwand er. Der Mann auf seinem Wachposten hatte nicht die geringste Lust, nass zu werden und verließ die durch ein Vordach geschützte Eingangstür nicht.
Hanna fror. Nach gefühlt ziemlich langer Zeit tauchte Krister so plötzlich wieder neben ihr auf, dass sie erschreckt zusammenzuckte. Er fasste Hanna bei der Hand und sie joggten zurück zur Donauhalle. Diesmal liefen sie sehr schnell, wofür Hanna dankbar war, da ihr beim Laufen wieder warm wurde. Den Weg schafften sie bei diesem Tempo in knapp zehn Minuten.
Als Krister in der Galgenbergstraße die Eingangstür öffneten, schoss ein kleiner Hund kläffend aus der unteren Wohnungstür und überschlug sich beinahe vor Freude. Krister bückte sich und streichelte die Promenadenmischung, was den Hund zu noch heftigeren Freudenbezeugungen veranlasste. Eine stämmige Frau in den Sechzigern war dem Tier gefolgt und meinte entschuldigend: »Keine Sekunde kann ich die Tür aufmachen, schon ist Fipps draußen. Guten Tag, Herr Professor. Mein Mann wollte heute Morgen Ihre Terrassenmöbel nach oben schaffen. Gestern hat es ja so ausgesehen, als ob es endlich Sommer werden wollte, aber jetzt regnet es schon wieder. Ich wollte sie dann eigentlich heute reinigen ...«
»Das ist nicht nötig. Wir brauchen die Terrassenmöbel jetzt nicht. Lassen Sie sich ruhig bis morgen Zeit«, erwiderte Krister.
Er stellte die beiden Frauen einander vor. Frau Neumann musterte Hanna neugierig. Eine Dame hatte der Herr Professor bis jetzt noch nie mit nach Hause gebracht. Nach freundlichen Abschiedsworten verschwand Frau Neumann samt dem sich sträubenden Hund in der Erdgeschosswohnung, während Krister und Hanna ihren Weg nach oben fortsetzten.
Die Dusche war groß genug, um ihnen beiden gleichzeitig Platz zu bieten. So lange untätig im Regen herumzustehen, das hatte Hanna nicht gut getan. Heftiges Niesen kündigte eine aufziehende Erkältung an.
»Geh schlafen! Du musst nicht mit zur Uni kommen. Ich berichte, was wir erfahren haben und gehe mit Arun zu der Detektei. Gegen Mittag bin ich wieder da.«
Bevor Krister sich vollständig angekleidet und das Haus verlassen hatte, war Hanna bereits eingeschlafen.
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