Lose Enden, Band 1 - Kapitel 12

 

Mona Kim Bücher Lose Enden Band 1 Roman

Donnerstag, 31. Mai 2007, Mittag

In allerbester Stimmung verließ Simone das Justizgebäude durch den Haupteingang zur Olgastraße. Es war geschafft! Richter Eichert war beinahe vollständig ihrer Argumentation gefolgt. Das zitronensaure Gesicht von Dr. Angus nach der Urteilsverkündung bereitete ihr jetzt noch eine tierische Freude. Diesen Anwalt hatte sie noch nie leiden können. Sein Blick, der sich immer angefangen bei den Füßen langsam an ihrem Körper nach oben arbeitete – widerlich!
Das Seminar in Karlsruhe war ein durchschlagender Erfolg gewesen, vor allem die Abendveranstaltungen. Dabei hatte Simone eine ganze Reihe interessanter Leute kennengelernt, die sich für ihre Karriere als nützlich erweisen konnten. Schon früh hatte Simone sich die Erfahrung zunutze gemacht, dass sie bei vielen Männern mit einem tief ausgeschnittenen und kurzen Kleid mehr erreichen konnte, als mit ihrer Intelligenz. Ohne jede Hemmung bediente sie sich dieses Mittels. Warum auch nicht? Wäre sie ein Mann, hätte sie mit viel weniger Schwierigkeiten zu kämpfen. Es trieb sie zum Wahnsinn, wenn sie mit ansehen musste, wie ihr jemand vorgezogen wurde, dessen einzige Qualifikation darin bestand, männlich zu sein. 
Wieder zu Hause, hatte Simone sich am meisten auf ein Wiedersehen mit Krister gefreut. Das Wochenende in Paris war genauso herrlich gewesen, wie sie es sich ausgemalt hatte. Doch leider hatte ihr Chef diese Pläne durchkreuzt und Simone einen sehr wichtigen Fall übertragen, in den sie sich unverzüglich einarbeiten musste, da er schon verhandelt wurde: Ein Kollege war krank geworden. Diese einmalige Chance, zu zeigen, was in ihr steckte, hatte Simone keinesfalls ungenutzt verstreichen lassen können.
Aber nun war das Urteil gesprochen und sie hatte wie erhofft, nein, erwartet in ihrer Rolle als Staatsanwältin geglänzt. Das Lob des Leitenden Oberstaatsanwaltes klang ihr noch angenehm in den Ohren. Endlich lagen ein paar freie Tage vor Simone. Der nächste Fall wurde erst am Dienstag in einer Woche verhandelt und die Vorbereitungen dazu waren so gut wie abgeschlossen. Das hatte sie schon vor dem Seminar in Karlsruhe erledigt.
Selbst das Wetter stand auf Simones Seite. Hatte es heute Morgen noch in Strömen gegossen, so leuchtete nun die Sonne von einem tiefblauen, mit lauter kleinen weißen Schäfchenwolken durchzogenen Himmel. Aufgekratzt schmiedete Simone Pläne: Als Erstes würde sie sich jetzt ein tolles Kleid kaufen, zur Belohnung sozusagen. Dann würde sie Krister anrufen und sich mit ihm für den heutigen Abend verabreden. Das Leben war so herrlich!
Gezielt steuerte Simone eine kleine, exklusive Boutique an, deren Kreationen wie geschaffen für ihre Fotomodellfigur waren. Überschwänglich begrüßte die Inhaberin eine ihrer besten Kundinnen, die nie auf den Preis achtete. Simones Geschmack kannte Frau Trabert inzwischen, zudem hatte sie nicht häufig das Vergnügen, eine Kundin mit einer so idealen Figur zu bedienen. Diesmal wurde ein hautenges, königsblaues Minikleid hervorgezaubert, das Simones gebräunte Haut und ihre langen Beine hervorragend zur Geltung brachte.
Geradezu überwältigt musterten beide Frauen Simones Spiegelbild vor der Umkleidekabine. »Genau die Farbe von Kristers Augen«, dachte Simone. Sie würden ein hinreißendes Paar abgeben. Das war Simone heute besonders wichtig, denn am Abend wollte sie Krister zum Geburtstag ihres Vaters einladen. Seit fünf Monaten waren sie nun zusammen, da wurde es Zeit, die nächste Phase ihrer Beziehung einzuleiten. Und dafür war das Familienfest genau der richtige Rahmen. Mehr als zweihundert Gäste waren geladen, darunter alles, was in und um Ulm Rang und Namen hatte. Krister musste natürlich etwas früher kommen als die Anderen, damit er ihre Eltern schon vorher kennen lernen konnte. Wenn dann die übrigen Gäste eintrafen, würde sie diese an Kristers Seite begrüßen. Alles Weitere war sozusagen vorprogrammiert: Bei nächster Gelegenheit würde er sie seinen Eltern vorstellen, und in absehbarer Zeit würden Simone und Krister dann heiraten. An Kristers Familie verschwendete Simone wenig Gedanken. Montana war weit entfernt, ziemlich egal also, ob sie seine Eltern mochte oder nicht, sie würde sowieso kaum mit ihnen zusammentreffen.
Die Zukunftsträume der schönen jungen Frau wurden durch Frau Trabert unterbrochen, die zum Kleid passende Schuhe und auch noch eine Handtasche brachte. Selbstverständlich schlug Simone zu und verließ bester Laune das Geschäft. Ihren Alfa hatte sie in der Salzstadel-Tiefgarage geparkt. Auf dem Weg dorthin besorgte sie in einem Delikatessengeschäft noch ein paar Köstlichkeiten und fuhr dann nach Hause. 
Ihre einhundert Quadratmeter große Dachwohnung in einem Neubau auf dem Kuhberg war ein Geschenk von Simones Vaters zum Examen gewesen, als die Anstellung bei der Staatsanwaltschaft in Ulm in trockenen Tüchern war. Vom Balkon aus präsentierte sich eine wunderbare Sicht auf das Ulmer Münster. Die exklusive Wohnung umfasste einen großen Wohnraum, ein fast ebenso großes Schlafzimmer, ein supermodernes Bad mit Whirlpool und eine kleine Küche. In dieser wurde allerdings fast ausschließlich der Kühlschrank benutzt, da Simone meist auswärts mit Freunden oder Kollegen aß – und hin und wieder natürlich mit Krister. Wenn sie zum Ausgehen zu müde war oder viel Arbeit hatte, ließ sie sich von einem Restaurant etwas bringen. Nun aber trug sie die eingekauften Lebensmittel in die Küche. Danach kickte sie achtlos ihre Schuhe von sich und ließ sich, das iPhone in der Hand, auf das weiße Ledersofa fallen. 

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