Das Gewicht der Leere - Kapitel 25

 

Mona Kim Bücher Das Gewicht der Leere Roman

Das direkt im Financial Distrikt der Wall Street gelegene Hotel Andraz diente den Rittern der Tafelrunde seit zwanzig Jahren als Treffpunkt. Es besaß einen Versammlungsraum, in dessen Mitte ein großer runder Tisch stand. Bei ihrem ersten Treffen prägte einer von ihnen deswegen scherzhaft den Begriff der Ritter der Tafelrunde. Und dabei blieb es dann.

Bis vor sechs Jahren waren sie noch zehn Personen gewesen: Artus, Lancelot, Gawan, Parceval, Tristan, Galahad, Keie, Iwein, Mordred und Bors. Heute waren nur noch acht übrig, denn Lancelot und Keie hatten den Kreis verlassen. Sie waren von Artus' Planänderung nicht zu überzeugen gewesen. Lancelots Abkehr schmerzte Artus besonders. Auch wenn zwischen ihnen nur zehn Jahre Altersunterschied lagen, hatte Artus ihn wie einen Sohn geliebt und ihn sehr gefördert. Artus war sich Lancelots Loyalität sicher gewesen. Nun, man kannte einen Menschen nie zu einhundert Prozent, selbst wenn er einem sehr vertraut war.
Auch wenn der runde Tisch die Gleichheit aller in diesem Kreis unterstreichen sollte, so war Artus doch der unbestrittene Primus inter Pares. Nun hatte er seine Ritter um sich versammelt – zu einer Krisensitzung, die man durchaus so hätte nennen können, wenn es sich bei dieser »Krise« nicht um ein lange erwartetes und detailliert geplantes Ereignis gehandelt hätte.
»Freunde!«, begann Artus. »Der erste Teil unseres Projektes neigt sich dem Ende zu. Ich hätte mir zwar eine etwas längere Testphase gewünscht, aber fünf Jahre reichen aus, um die gewonnenen Daten nutzbringend auszuwerten. In Kürze starten wir mit Phase zwei. Aus diesem Grund habe ich Kontakt mit Lancelot aufgenommen.«
Diese Eröffnung sorgte für Unruhe unter den Anwesenden.
»Lancelot?«, fragte Galahad überrascht. »Lancelot gehört nicht mehr zu uns!«
Artus erwiderte: »Das ist richtig. Aber für Phase zwei brauchen wir ihn.«
»Das kannst du nicht machen! Das ist viel zu gefährlich!«, gab Galahad zu bedenken.
»Wozu soll das denn gut sein? Wir sind nicht auf ihn angewiesen. Jeder von uns kann diese Aufgabe übernehmen«, warf Tristan ein.
»Wir müssten ihn in die Zentrale bringen! Warum willst du ihm Einblicke in Dinge gewähren, die er nicht zu wissen braucht? Er weiß sowieso schon viel zu viel!«, rief Mordred.
Artus ließ sie reden. Sein Entschluss war gefasst, und wie immer hatte er ihn gründlich durchdacht. Nachdem alle ihre Bedenken und Einwände vorgebracht hatten und wieder Ruhe eingekehrt war, sagte er: »Ihr habt natürlich alle recht mit eurer Besorgnis. Lancelot hat sich nach der Anpassung unserer Pläne von uns losgesagt. Seitdem wird er allerdings überwacht und konnte nichts gegen uns unternehmen. Um ihn auch in Phase zwei unseres Unternehmens unter Kontrolle zu haben, müssen wir die Testpersonen von seiner aktiven Mitwirkung an dem Experiment überzeugen. Das wird sie davon abhalten, ihm zu vertrauen und alle für uns gefährlichen Versuche von seiner Seite aus ins Leere laufen lassen.«
»Wir hätten mit ihm gleich so verfahren sollen wie mit Keie! Dann stünden wir jetzt nicht vor diesem Problem. Das habe ich immer gesagt, und dieser Meinung bin ich heute mehr denn je!«
Wie in jeder größeren Gruppe, so gab es auch hier einen Unruhestifter, einen, der grundsätzlich alles in Frage stellte, einen, der sich gerne selbst in der Rolle des Anführers sehen würde. Hier war es Parceval. Artus seufzte. Wenn Parceval nicht ein so begnadeter Wissenschaftler wäre, hätte er ihn schon lange aus der Runde entfernt. Aber ohne ihn hätte dieses gesamte Projekt nie ins Leben gerufen werden können. Nicht ohne ihn und nicht ohne Lancelot. Es wäre Artus lieber gewesen, Parceval hätte sie verlassen und Lancelot wäre stattdessen noch bei ihnen. Artus' Schwäche ihm gegenüber war es zu schulden, dass Lancelot noch lebte. Aber das würde Artus niemals zugeben, nicht einmal sich selbst gegenüber. Von sich überzeugt zu sein, das war ihm zu keiner Zeit seines Lebens schwergefallen. Diese Eigenschaft bedeutete die Voraussetzung dafür, dass er wiederum andere überzeugen konnte.
»Parceval, dieses Thema haben wir schon ausführlich besprochen. Wir werden es nun nicht erneut tun. Denn wir haben uns um anderes zu kümmern. Der Plan für Phase zwei steht, aber es sind noch Einzelheiten zu klären. Beginnen wir damit!«
 

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