Schaltjahr - Kapitel 5

 

Mona Kim Bücher Schaltjahr Roman

Kurz vor sieben Uhr am Samstagabend machte Rena sich auf den Weg zum Anwesen der Familie Griesser. Für die Grillparty sei keine besondere Garderobe erforderlich, hatte Frau Griesser Rena auf deren Frage hin mitgeteilt. Jeans würden vollkommen genügen. An der Einmündung in die Hauptstraße begegnete sie den Kreutzers, die offensichtlich dieselbe Richtung einschlugen. Darüber war Rena froh. Alleine auf Partys zu erscheinen war sie noch nicht gewohnt. Auch zu der Wahl ihrer Kleidung beglückwünschte sie sich innerlich. Da Rena sich ihre Gastgeberin nicht anders als perfekt gekleidet vorstellen konnte, hatte sie eine neue weiße Hose, einen hellgrünen kurzärmeligen Seidenpullover und darüber eine dunkelblaue, taillierte Lederjacke gewählt. Die sportlich-schick gekleideten Kreutzers bestätigten Rena in ihrer Wahl. 
Vor der imposanten Villa angekommen, ließen ihre Begleiter den Haupteingang links liegen und schlugen einen gekiesten, von Rosenbeeten gesäumten Weg ein, der um das Haus herum in den weitläufigen Garten führte. Trotz der beachtlichen Anzahl an Menschen, die schon zu dieser frühen Stunde hier versammelt waren, wirkte das offensichtlich von einem talentierten Gartengestalter angelegte Gelände großzügig und geschmackvoll. Über den Rasen verteilt, der jedem Golfplatz Ehre gemachte hätte, waren an verschiedenen Stellen Sitzgruppen oder Stehtische aufgestellt, um die sich die Gäste scharten. Die vom Boden bis zum Dach reichenden Glaswände der Schwimmhalle begrenzten eine Seite des Gartens. Heute waren sie zusammengeschoben und gaben so das Schwimmbecken zum Garten hin frei. Frau Griesser hatte Rena aufgefordert, Badekleidung mitzubringen, da trotz des etwas kühlen Frühlingsabends in dem gut geheizten Wasser gebadet werden könne. Aber Rena hatte sich entschlossen, dieses Angebot nicht anzunehmen. Es waren auch vorwiegend junge Leute im Wasser, unter denen Rena Pascal erkannte. Vermutlich waren es Freunde der Kinder. Auf der großen, leicht erhöhten und mit hellem Stein gefliesten Terrasse gab es eine Bar und mehrere Stände, die gegrilltes Fleisch, Würste, Fisch, Salate und viele andere Leckerbissen anboten, deren einladender Geruch Rena das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Auch hier gab es Bänke und Tische. Vom unteren Ende des Rasens her erklang Musik. Dort war ein Zeltpavillon aufgebaut, der einer Gruppe von Musikern als Bühne diente. Sie spielten bekannte Evergreens aus den siebziger und achtziger Jahren. Vor dem Pavillon war aus Holzplanken eine Tanzfläche angelegt.
Wenn Frau Griesser dies als »kleine Party« bezeichnete, dann würde Rena interessieren, was in ihren Augen wohl eine große Party war!
Als vorzügliche Gastgeberin bemerkte Ann-Katrin Griesser die Neuankömmlinge sofort und eilte ihnen entgegen. Alles an ihr war perfekt. Sie hatte nicht gelogen: Sie trug wirklich Jeans. Aber Jeans, die vermutlich mehr gekostet hatten als ein Herrenanzug! Strahlend begrüßte sie ihre Freunde Marlies und Alfred und hieß auch Rena so herzlich willkommen, dass diese sich sofort wohl fühlte. Sie begleitete die drei zu einer Gruppe von Gästen und stellte Rena den anderen vor. Da die Kreutzers die meisten der Anwesenden kannten, wurden sie sofort in die allgemeine Unterhaltung mit einbezogen. Uniformierte Kellner bewegten sich mit champagnergefüllten Gläsern durch die Menge und sammelten die leeren Gläser ein. Schon jetzt herrschte eine ausgezeichnete Stimmung. Bei der großen Anzahl von Leuten, die meist gleichzeitig und durcheinandersprachen, fiel es nicht auf, dass Rena sich zum größten Teil aufs Zuhören beschränkte. Die Unterhaltung drehte sich um ein Fest, das am vergangenen Wochenende im Nachbarort stattgefunden und an dem anscheinend die meisten der Anwesenden teilgenommen hatten.
Gleich zu Anfang hatte sich Alfred Kreutzer in Richtung Grillstand aufgemacht und Rena und seiner Frau angeboten, ihnen etwas mitzubringen. Die Übrigen in der Runde waren mit kulinarischen Leckerbissen schon reichlich versorgt. Alle standen um einen großen runden Tisch, auf dem sie ihre Teller abstellen konnten. Als Herr Kreutzer mit drei Tellern, auf denen Salate und gegrillter Fisch appetitlich angerichtet waren, zurückkam, rückten die anderen etwas zur Seite. Rena gab sich ganz dem Genuss des vorzüglichen Essens, des Champagners und des Zuhörens hin. Ein fast euphorisches Wohlbehagen, Teil dieser stimmungsvollen Gesellschaft zu sein, hatte von ihr Besitz ergriffen.
Sie spürte seine Anwesenheit schon bevor sie ihn sah. Als Rena sich dann umdrehte, sah sie in die forschenden blauen Augen des einsamen Spaziergängers im Wald.
»Hallo, schnelle Läuferin«, sagte er leise, um die Aufmerksamkeit der anderen nicht von der gerade erzählten Anekdote abzulenken. Dann gab er Rena die Hand: »Thomas Griesser, herzlich willkommen bei uns. Ich freue mich darauf, Sie kennen zu lernen.«
Bevor sie etwas erwidern konnte, wurden die anderen auf ihren Gastgeber aufmerksam und bald war er Mittelpunkt der Gruppe. Nach einigen Minuten zog er sich wieder zurück und wandte sich einer anderen Gästegruppe zu. Den ganzen Abend über kam Herr Griesser immer wieder für eine kleine Weile vorbei und jedes Mal wechselte er mit Rena ein paar Worte, fragte sie, ob er ihr etwas zu trinken oder zu essen bringen könne, und jedes Mal ergriff beim Klang seiner Stimme oder bei der Berührung seiner Hand dieselbe Erregung von ihr Besitz. Hin und wieder glaubte sie seinen Blick sogar aus der Ferne auf sich ruhen zu spüren, aber dieses Gefühl entsprang sicher ihrer Einbildung. Vermutlich hatte er die Gabe, sämtlichen weiblichen Gästen das Gefühl zu vermitteln, ihnen besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Erst in den frühen Morgenstunden verabschiedeten sich die Kreutzers von ihren Gastgebern und Rena schloss sich ihnen an. Zuhause schlief Troop tief und fest. Um zehn Uhr war Mona mit einer Gruppe von Freunden zu Rena nach Hause gegangen und die Jugendlichen hatten einen ausgiebigen Spaziergang mit dem kleinen Hund gemacht.

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