Schaltjahr - Kapitel 2



Mona Kim Bücher Schaltjahr Roman

Pünktlich um acht Uhr klingelte Rena bei den Kreutzers.
»Hallo! Nur herein! Das ist aber nett, dass Sie Zeit gefunden haben«, wurde sie von der Hausherrin herzlich begrüßt. »Wir sind auf der Terrasse. Bei diesem herrlichen Wetter müssen wir jede Minute ausnützen! Alfred! Hol eine Flasche Wein aus dem Keller! Sie trinken doch Wein? Oder möchten Sie lieber Bier?«
Rena entschied sich für Wein. Mit einer Flasche Trollinger in der Hand und dem für ihn typischen freundlichen Lächeln hieß Alfred Kreutzer die Besucherin willkommen. Auf der Terrasse saß schon ein junges Paar. Marlies Kreutzer stellte die beiden als ihren Sohn Michael und dessen Frau vor. Seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war Michael groß, gutaussehend und nach Renas Schätzung Mitte zwanzig. Ohne mit der schüchternen Zurückhaltung seines Vaters gesegnet zu sein, schwatzte er sofort ungeniert drauflos. Auch glänzte der junge Mann nicht gerade durch übermäßige Intelligenz und das einzige Gesprächsthema, dessen er fähig schien, war das erst kürzlich fertiggestellte Haus, in dem er mit seiner jungen Ehefrau wohnte. Ein – leider überhaupt nicht vorhandenes – Interesse bei Rena voraussetzend, lud er sie ein, sich das neue Heim der jungen Eheleute demnächst anzusehen. Seine Frau sprach kaum und wenn sie doch etwas einwarf, dann nur um ihrem Ehemann zu widersprechen, wenn ein Detail seiner Ausführungen nicht hundertprozentig stimmte. Die eine Stunde, die sie zu fünft auf der Terrasse zubrachten, erweckte in Rena den Eindruck, dass die Kreutzers ihre Schwiegertochter nicht besonders schätzten.
Nachdem das junge Paar gegangen war, wurde es schnell gemütlich. Marlies und Alfred unterhielten Rena mit Geschichten aus dem Dorfleben. Alfred Kreutzer war hier geboren. Das Gelände, auf dem Renas Kate stand, und auch das Grundstück, auf dem sie das neue Haus errichtet hatten, gehörte zum ehemaligen elterlichen Bauernhof. Bis vor kurzem hatte Alfreds Mutter noch gelebt und sie war, nach den Worten von Marlies, eine ziemliche Hexe gewesen. Jahrelang hatte die Schwiegertochter unter der bösen Schwiegermutter zu leiden gehabt. Diesbezüglich stimmte ihr sogar der Ehemann zu. Auch das Haus des Sohnes stand auf einer ehemaligen Streuobstwiese, die zu Bauland geworden war. Von der elterlichen Terrasse aus war das Gebäude zu sehen und machte einen ziemlich protzigen Eindruck im Vergleich zu dem eher schlichten Zweifamilienhaus der Kreutzers. Entweder hatte das Mädchen Geld mit in die Ehe gebracht oder aber Marlies und Alfred hatten den jungen Leuten mit einem großzügigen Zuschuss unter die Arme gegriffen. Der Lohn eines Installateur-Gesellen reichte jedenfalls nicht aus, um ein solches Haus zu bauen, auch nicht bei vorhandenem Grundstück und viel Eigenarbeit.
Dann berichtete Rena von ihrem ersten Einkauf im Dorfladen. Wie sie vermutet hatte, erfuhr sie durch diesen kleinen Anstoß alles, was es über die Familie Hausmann und auch über die Familie Griesser zu wissen gab. Letzteres interessierte Rena eher.
»Die Griessers sind gute Freunde«, ließ Marlies sie wissen. »Alle zwei Wochen treffen wir uns zum Kartenspielen. Wir sind insgesamt vier Paare und spielen immer reihum abwechselnd bei jedem zu Hause. Thomas Griesser ist Arzt!« Der Beruf ihres Freundes erfüllte Marlies offensichtlich mit beträchtlichem Stolz. »Er hat eine Praxis in der Stadt. Facharzt für Neurologie ist er. Aber das Geld kommt von ihr. Sie ist eine geborene Beck.«
Da Rena dies offensichtlich nichts sagte, fügte ihre Gastgeberin erläuternd hinzu: »Die Möbelhauskette Beck!«
Nun wusste Rena Bescheid. Beck-Möbel gab es hier in der Gegend fast in jeder größeren Stadt. 
Alfred bemerkte trocken: »Mir würde das was Thomas verdient auch schon reichen!«
»Klar, der verdient natürlich auch nicht schlecht, aber kein Vergleich zu Katrins Geld!« Zu Rena gewandt fuhr Marlies fort: »Deren Haus sollten Sie einmal sehen! Das ist eine Luxusvilla mit Swimmingpool und Tennisplatz und allem. Aber es sind trotzdem nette Leute!« 
Das klang fast so, als ob sich Reichtum und Nettigkeit eigentlich ausschlössen. 
»Überhaupt nicht hochnäsig. Und Mona und Pascal sind reizende Kinder. Pascal hat sein Abitur mit 1,3 gemacht und fängt im Herbst an zu studieren und Mona hat auch sehr gute Noten im Gymnasium. Außerdem sind die beiden gut erzogen. Immer freundlich und höflich. Nicht so frech wie manche anderen Kinder hier.«
Was Mona betraf, konnte Rena zustimmen. Das Mädchen hatte bei ihrem nachmittäglichen Zusammentreffen ein offenes, freundliches Wesen und gute Manieren gezeigt. 
Mehr erfuhr Rena an diesem Abend über die Griessers oder andere Dorfbewohner nicht, da ein weiteres junges Paar mit einem kleinen Mädchen an der Hand um die Hausecke kam und von Marlies und Alfred freudig begrüßt wurde. Es war die Tochter mit Ehemann und Enkelin. Daniela, die Tochter, war Rena nach kurzem Kennenlernen wesentlich sympathischer als ihr Bruder. Zum einen war die junge Frau deutlich intelligenter und zum zweiten ließ sie auch andere zu Wort kommen. Auch schien das Verhältnis zwischen Schwiegereltern und Schwiegersohn um einiges besser zu sein, als zwischen Schwiegereltern und Schwiegertochter. Die kleine Enkelin war ein reizendes Mädchen, das zu Oma und Opa eine überaus herzliche Beziehung hatte. Trotz der späten Stunde schien die Kleine überhaupt nicht müde zu sein, was die Mutter mit einem sehr ausgiebigen Mittagschlaf erklärte. Es war ausgemacht, dass die Enkeltochter heute bei den Großeltern übernachten durfte und so blieb Rena aus Höflichkeit noch eine halbe Stunde sitzen und verabschiedete sich dann mit ein paar aufrichtigen Dankesworten für den netten Abend.
Marlies Kreutzer begleitete den Gast noch bis vor das Gartentor und überraschte Rena mit einer weiteren Einladung: »Wenn Sie Lust haben: Es gibt hier eine Frauenturngruppe. Jeden Mittwochabend von sieben bis acht. Wir machen ein wenig Gymnastik und Spiele. Nicht zu anstrengend. Ein paar von uns sind schon etwas älter. Ich würde mich freuen, wenn Sie kommen würden. Sagen Sie mir einfach Bescheid.«
Ohne direkt zu antworten, lächelte Rena und machte sich auf den kurzen Heimweg. Ob sie an solchen Dorfaktivitäten teilnehmen wollte, darüber musste Rena erst noch gründlich nachdenken. Einerseits war es eine sichere Möglichkeit, die Menschen hier kennenzulernen, aber andererseits würden auch neugierige Fragen gestellt werden. Fragen, auf die zu antworten sie keine Lust hatte.



 

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