Mona Kim Bücher Lose Enden Band 1 Roman
Mittwoch, 7. März 2007
Träumend saß Simone Keller an ihrem Schreibtisch. Das Leben konnte gerade kaum schöner sein. Krister Ullrik! Sie ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. Krister. Bei einem Konzertabend im Edwin-Scharff-Haus – gerade einmal zwei Monate war es her – hatte sie Krister zum ersten Mal gesehen. Noch heute amüsierte es Simone, wenn sie daran dachte, wie überrascht ein Arbeitskollege reagiert hatte, als sie ihn so unerwartet überschwänglich begrüßte. Aber sie hatte sich ausgerechnet, dass dieser Kollege sie dann den anderen Leuten in seiner Gesellschaft vorstellen würde, was er natürlich auch tat. Und siehe da: Einer von ihnen war dieser unverschämt gutaussehende Mann gewesen. Simones Absicht war von Erfolg gekrönt, natürlich! Nach dem Konzert vertieften sie und der schöne Unbekannte ihre Begegnung bei einem Glas Wein, und von da an trafen sie sich regelmäßig. Theatervorstellungen, Konzerte, Abendessen in eleganten Restaurants. Bald kam Krister anschließend mit zu Simone nach Hause und sie verbrachten die Nacht zusammen. Einfach alles passte.
Nun war auch noch eine geradezu ideale Gelegenheit in Aussicht, den Geliebten ihren Eltern vorzustellen: In einigen Wochen feierte ihr Vater seinen sechzigsten Geburtstag. Was war naheliegender, als Krister dazu einzuladen? Die Geburtstagsfeier würde in großem Rahmen stattfinden, auf der Gästeliste standen einige berühmte Namen aus Politik und Medizin. Schon jetzt überlegte Simone, was sie zu diesem Anlass anziehen wollte. Sie musste unbedingt die schönste Frau im ganzen Saal sein!
Selten überließ Simone etwas dem Zufall. So, wie sie bis ins Kleinste ihre berufliche Karriere plante, so plante sie auch ihre private Zukunft. Krister Ullrik war da die Rolle von Simones Ehemann zugedacht. Dass er diese Rolle mit Freuden annehmen würde, daran gab es für Simone nicht den geringsten Zweifel. Ihre gemeinsamen Abende und Nächte waren in jeder Beziehung ein voller Erfolg. Überall wo sie als Paar auftraten, folgten ihnen bewundernde – oder neidische – Blicke. Begegneten sie im Theater oder in einem Restaurant Bekannten von Krister, so genoss er ganz unverkennbar die Aufmerksamkeit, die Simones Erscheinung hervorrief. Zudem konnte Krister wunderbar zuhören und war sehr an ihrer beruflichen Laufbahn interessiert. Freilich begegnete sie bei ihrer Tätigkeit auch vielen interessanten Menschen, es gab also immer etwas zu erzählen. Da war die Physik, Kristers Tummelplatz, schon eine sehr viel trockenere Angelegenheit.
Zum Glück verlangte Krister kein physikalisches Verständnis von ihr. Auch wenn Simone einen scharfen Verstand besaß und sich den meisten ihrer Mitmenschen intellektuell überlegen fühlte, so gehörten die Naturwissenschaften wahrlich nicht zu ihren bevorzugten Interessen. Von ihrem Partner aber erwartete sie eine Intelligenz, die der ihren mindestens ebenbürtig war. Und auch in dieser Beziehung enttäuschte Krister sie nicht– im Gegensatz zu einigen der Männer, mit denen Simone früher ausgegangen war.
Mit Schaudern dachte Simone an die kurze Ehe, die sie, achtzehnjährig und deswegen noch mit geradezu erschreckender Naivität geschlagen, eingegangen war. Damals fand sie es ungeheuer romantisch, als ihr Freund mit ihr nach Las Vegas flog und sie dort heirateten. Großer Gott, der Mann war Automechaniker, was war da schon anderes zu erwarten! Die Ernüchterung hatte sie schnell eingeholt. Zwei Jahre später waren sie schon wieder geschieden. Behalten hatte Simone nur den Nachnamen Keller. Ihren schwäbisch-provinziell klingenden Mädchennamen »Steigle« hatte sie schon immer gehasst.
Schnell schob Simone diese unangenehmen Erinnerungen beiseite und wandte sich wesentlich erfreulicheren Gedanken zu: Am Freitag würde sie Krister vorschlagen, ein paar Tage gemeinsam zu verreisen. Bis jetzt hatten sie nur einzelne Abende und Nächte miteinander verbracht. Wie in einem Film sah sie die Szene deutlich vor sich: Es war später Vormittag. Sonnenlicht flutete in hellen Streifen auf den Boden, die schweren Vorhänge waren noch nicht ganz geöffnet. Nach einer leidenschaftlichen Nacht saß sie mit Krister in ihrer Hotelsuite am reich gedeckten Frühstückstisch, beide nur in dünne seidene Morgenmäntel gehüllt. Vor ihnen lag ein langer, wunderschöner Tag. Paris, Mailand, Rom, der Schauplatz dieses Glücks war völlig austauschbar.
Aber genug jetzt! Simone riss sich zusammen. Dieser Berg Akten da vor ihr auf dem Schreibtisch wartete darauf, durchgearbeitet zu werden. Nach wenigen Sekunden hatte sie alle störenden Träumereien ausgeblendet und sich konzentriert in den ersten Fall vertieft.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Hinweis
Mit dem Abschicken deines Kommentars bestätigst du, dass du die Datenschutzerklärung gelesen hast und diese akzeptierst.
Weiterhin erklärst du dich mit der Speicherung und der Verarbeitung deiner Daten (Name, ggf. Website, Zeitstempel des Kommentars) sowie deines Kommentartextes durch diese Website einverstanden.Dein Einverständnis kannst du jederzeit über die Kontaktmöglichkeiten im Impressum widerrufen.Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Weitere Informationen findest du hier:
Datenschutzerklärung von Google