Lose Enden Band 1 - Kapitel 4



Mona Kim Bücher Lose Enden Band 1 Roman

Dienstag, 23. Januar 2007

»Die sieht ja bescheuert aus! Außerdem ist sie zu alt, die passt nicht zu uns.«
»Der hier wirkt so, als ob der Erkennungsdienst das Foto gemacht hätte.«
»Die da ist zu hübsch. Dann arbeitet ihr überhaupt nichts mehr.«
Irene sichtete die eingegangenen Bewerbungen. Allerdings beschränkte sie sich dabei in erster Linie auf die Fotos. Arun und Krister schmunzelten, ließen sich aber von Irenes Kommentaren nicht beeinflussen.
»Wartet mal! Die hier gefällt mir.«
Arun reichte Krister eine weitere Bewerbungsmappe. Sofort wurde Irene hellhörig.
»Zeig her!« Kritisch betrachtete sie das Foto. »Na ja, nicht schlecht. Wenn man berücksichtigt, dass das Bild vermutlich im Passbildautomaten am Bahnhof aufgenommen wurde. Da würde selbst Claudia Schiffer  aussehen wie ihre eigene Oma!«
»Ich habe auch nicht gemeint: die Frau gefällt mir, sondern die Bewerbung«, rechtfertigte sich Arun.
»Sie muss nicht schön sein, sondern etwas können«, sprang Krister Arun bei und las ebenfalls das Schreiben. 
»Wahrscheinlich hat sie ein kleines Kind und kann deshalb sowieso nur halbtags arbeiten«, sagte Irene säuerlich.
»Das würde dann aber aus dem Lebenslauf hervorgehen«, hielt Krister dagegen. »Abgesehen davon wäre das kein Hinderungsgrund. Die Arbeitszeit hier bei uns kann ja flexibel gestaltet werden. Wir lassen diese vier Kandidaten zu Vorstellungsgesprächen kommen, danach wissen wir mehr und können uns in aller Ruhe entscheiden.«

Aruns kleiner Tochter Leyla ging es inzwischen etwas besser. Es hatte lange gedauert, bis sie das Vorgefallene erzählen konnte. Immer wieder stürzte sie ihre Eltern mit Fragen in Bedrängnis: »Ich wasche mich doch jeden Tag. Warum hat er gesagt, ich wäre schmutzig?« oder »Warum hat er mich Kaffeebohne genannt?« Am schwersten schien sie die Sache mit ihrer Schultasche zu nehmen. Als Krister sie besuchte, fragte sie plötzlich: »Gehört meine Schultasche nicht mir? Ich habe sie doch zum Geburtstag bekommen.«
»Natürlich gehört deine Schultasche dir.«
Das Kind sah ihn zweifelnd an.
»Der böse Junge hat gesagt, sie sei von seinem Geld gekauft worden.«
»Der böse Junge hat gelogen.«
Das schien Leyla einzuleuchten und sie auch zu beruhigen. Menschen logen hin und wieder, das hatte sie schon festgestellt.
Die körperlichen Verletzungen des Mädchens waren gering: nur ein paar blaue Flecken und Hautabschürfungen vom Hinfallen.

Bereits am Tag nach dem Übergriff auf Leyla waren die drei Jugendlichen von Angela und Marion identifiziert worden. Olaf Theil, einer der drei, wohnte sogar in einem der Wohnblocks am Eselsberg. Marion hatte ihn sofort als denjenigen erkannt, der Leyla am Zopf festgehalten hatte. Der Rest war Routine. Der Sechzehnjährige war in der Gegend bekannt und immer in Gesellschaft zweier Freunde anzutreffen. Bis zur Gerichtsverhandlung würde allerdings mindestens ein halbes Jahr vergehen, so lange liefen die Drei frei herum. Was bei der Verhandlung dann herauskommen würde, in dieser Frage hatte sie Kommissar Mehldorn ja bereits vorgewarnt: Mehr als eine Verwarnung und eventuell ein paar Tage oder Wochen gemeinnützige Arbeit war nicht zu erwarten.
Was die Sicherheit ihrer Kinder betraf, so waren Kanwars, Bergers und Frau Kurz nun alarmiert und deswegen besonders auf der Hut: Abwechselnd brachten sie die drei Mädchen morgens zu Schule und holten sie am Nachmittag wieder ab. Die Lehrer hatten die Anweisung, die Mädchen unter keinen Umständen allein nach Hause gehen zu lassen. Nach und nach legte sich aber das anfängliche Entsetzen über das Vorkommnis. Auch bei Krister, Arun und ihren beiden Kollegen an der Universität kehrte der gewohnte Arbeitsalltag langsam zurück.


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