Das Gewicht der Leere - Kapitel 19

 


Mona Kim Bücher Das Gewicht der Leere Roman

Franka lag auf dem Bauch. Terence hatte sein Gewicht leicht zur Seite verlagert, um ihr nicht den Atem zu nehmen. Sein Kopf ruhte immer noch auf ihrem Rücken und seine Hände umfassten ihre Brüste. Er und Franka verharrten immer noch genauso, wie sie sich vor wenigen Minuten erschöpft auf das Bett hatten sinken lassen. Sie überließen sich der glückseligen Entspannung, die Köpfe leergefegt von allen beunruhigenden Gedanken und die Körper angenehm ausgepumpt. Der Schweiß ließ ein schwaches Frösteln über ihre Haut huschen, sie rückten noch enger zusammen.

Immer noch schwiegen die Antriebsmotoren des Raumschiffes. Seit drei Monaten schwebte es nun schon reglos im All. Die erste Serie der Fotos, die die Kamera gemacht hatte, war ausgewertet worden – mit dem Resultat einer nicht gerade vielversprechenden Ausbeute. Mit genauen Aufnahmekoordinaten war die Kamera daraufhin zum zweiten Mal losgeschickt worden, diesmal war sie mit zwei möglichen Sonnenansichten zurückgekommen. Leider erwies sich ausgerechnet die Spektralanalyse der weiter entfernten Sonne als geeigneter, um in ihrer Nähe Planeten mit erdähnlichen Bedingungen zu finden. Solche ließen sich auf diese Entfernung nicht erkennen. Tick, Trick und Track, die Versuchsmäuse, hatten ihre Gravitationssprünge, eingeschlossen in die drucksichere, mit Atemluft gefüllte und ebenfalls mit einer Kamera bestückte Kapsel, unbeschadet überstanden. Für den nächsten Tag war dann der Gravitationssprung des Schiffes vorgesehen. Demgemäß herrschte an Bord natürlich helle Aufregung. Seit vier Wochen prüfte Terence unermüdlich seine Berechnungen und verglich sie mit den vorprogrammierten Sprungdaten. Ihre Übereinstimmung beruhigte ihn.
»Larissa ist schwanger!«, verkündete Franka völlig unvermittelt.
Terence hob kurz den Kopf, ließ ihn dann aber wieder sinken.
»Weiß sie wenigstens von wem?«
Diese Frage war nicht ganz unberechtigt. Einige der Männer und Frauen an Bord, darunter Larissa, unterhielten häufig wechselnde Partnerbeziehungen. 
»Wahrscheinlich weiß Larissa nicht, wer der Vater des Kindes ist«, mutmaßte Franka. »Aber das ist doch auch egal. Es wird das erste Kind an Bord sein. Unter Mangel an Aufmerksamkeit wird es kaum leiden müssen. Falls es dir ähnlich sieht, bringe ich dich um!«
Terence lachte und ließ seine Zunge über Frankas Rücken gleiten. Sie hielt den Atem an, dann flüsterte sie:
»Alice und Tom denken auch über Nachwuchs nach. Sie möchten beide gerne Kinder haben und empfinden die Lebensbedingungen auf dem Schiff als nicht so ungeeignet. Vor allem, da sich an ihnen in absehbarer Zeit nichts ändern wird.«
»Und du? Wie sieht das bei dir aus? Möchtest du ein Kind?«
»Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich Angst davor. Es kann so viel passieren. Aber das wird immer so bleiben. Das heißt, wenn wir ein Kind wollen, dann am besten so bald wie möglich. Ich bin einundvierzig. Mit jedem Jahr steigt das Risiko. Wünschst du dir denn ein Kind?«
Einundvierzig Jahre waren in einer Zeit, in der das Lebensalter der Menschen durchschnittlich hundertzehn Jahre betrug und Frauen nicht selten mit fünfzig noch Kinder gebaren, immer noch ein gutes Alter für eine Schwangerschaft. Aber natürlich erhöhte sich mit zunehmendem Alter der Mutter das Risiko für eine Fehlgeburt oder für Missbildungen des Babys.
»Ja! Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen. Und was die Gefahr anbetrifft: Das Leben auf unserer guten alten Erde war auch nicht gerade ohne Gefahren. Hier wird ein Kind zumindest nicht von einem Auto überfahren, es kann später keine Drogen nehmen, wird nicht von bewaffneten Kriminellen wegen einer Brieftasche mit ein paar Cent ermordet und stürzt mit keinem schlecht gewarteten Fluggleiter ab.«
Franka drehte sich unter Terence um, sein Kopf lag nun auf ihrer Brust. Sie fuhr mit den Fingern durch seine dichten Locken, die inzwischen schon eine beachtliche Länge erreicht hatten.
»Hoffentlich erbt es deine Haare!«, meinte sie dann träumerisch. Terence sah ihr in die Augen.
»Haben wir uns eben dazu entschlossen, ein Kind zu bekommen? Oder habe ich etwas missverstanden?«
»Das hast du schon richtig verstanden!«, antwortete Franka lächelnd.
»Den ersten Teil der dafür nötigen Schritte könnten wir eigentlich gleich hinter uns bringen!«

Darauf mussten sie dann doch verzichten, da ein melodischer Dreiklang einen Besucher ankündigte. Es war erst elf Uhr am Abend, eine Zeit, die auf dem Schiff für einen Besuch nicht als unschicklich galt. Terence und Franka schlüpften rasch in ihre Overalls, sie verschwand im Bad, um sich wenigstens kurz durchs Haar zu fahren, während Terence zur Tür ging. Seine Mähne sah vor und nach dem Kämmen sowieso stets gleich aus. Noch vom Badezimmer aus vernahm Franka die Stimme des Captains. Es schien sich um einen dienstlichen Besuch zu handeln, da Melanies Stimme nicht zu hören war.
Derek ließ sich zu einem Glas Whisky überreden, Terence goss auch für Franka und sich eines ein.
»Was gibt es?«, fragte er. »Du bist sicher nicht einfach mal so vorbeigekommen, sonst wäre Melanie dabei. Haben wir Probleme, die den Sprung betreffen?«
 »Ja und nein! Das Problem betrifft eigentlich eher Franka. Ich würde gerne warten, bis sie da ist.«
Terence zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Aber da kam Franka schon. Der Captain stellte wieder einmal verwundert fest, wie sehr sie sich in letzter Zeit verändert hatte. Er konnte nicht mehr genau sagen, wann diese Veränderung eingesetzt hatte, aber inzwischen war sie für jeden deutlich zu sehen. Derek hatte Franka als stille, introvertierte Frau kennengelernt, stets etwas zu bleich und stets etwas zu dünn. Aber nun schien ein inneres Leuchten von ihr auszugehen. Ihre zarte Haut war immer noch weiß, hatte aber die ungesunde Blässe verloren. Das dichte hellbraune Haar hatte Franka normalerweise zusammengebunden. Jetzt trug sie es offen, es umrahmte glänzend ihr schmales Gesicht mit den großen dunklen Augen. Und sie lächelte. Ein Lächeln, das bis vor wenigen Wochen äußerst selten auf ihrem Gesicht zu sehen gewesen war. Derek seufzte. Wenn er diesen Raum hier verließ, würde sie nicht mehr lächeln. Sein Gesichtsausdruck musste ihn verraten haben, denn Franka musterte ihn, ernst geworden, während sie sich ihm gegenübersetzte und an ihrem Whisky nippte.
»Dich umgibt die Aura von Unheil«, stellte sie fest. »Heraus mit der Sprache. Du brauchst keine Angst zu haben, die Überbringer schlechter Nachrichten werden heutzutage nicht mehr hingerichtet.«
Der Captain räusperte sich.
»Es geht um den Sprung morgen«, begann er zögernd. »Du weißt, ich hätte gerne alle auf der Brücke versammelt, und zwar angeschnallt. Ich meine: wirklich alle! Das bedeutet ... nun ... das gilt auch für Jörg ...«
Weiter kam er nicht. Hart stellte Terence sein Glas auf dem Tisch ab.
»Das halte ich für absolut unnötig!«
Seine Stimme hatte eine Schärfe angenommen, die bei ihm nur selten zu hören war.
»Doch! Es ist nötig! Ein Sprung wie dieser ist noch nie durchgeführt worden. Alles beruht ausschließlich auf Berechnungen und Simulationen. Niemand kann vorhersagen, was geschehen wird. Das weißt du so gut wie ich. Vielleicht verhält sich die Gravitation bei so großen Massen vollkommen anders als vorhergesehen.«
»Es ist mir egal, wie sich die Gravitation verhält. Wenn du Jörg auf die Brücke holst, dann bleibe ich mit Franka hier in unserer Wohnung!«
Der Captain bemühte sich um Fassung. Sein Erster Offizier hatte ihm soeben ganz offen mit Meuterei gedroht. Nach altem Recht hätte er ihn dafür erschießen können. Aber es gab kein altes Recht mehr und er hätte das sowieso nicht getan. Terence war in erster Linie sein Freund und erst in zweiter der Erste Offizier des Raumschiffes. Derek hatte gewusst, es würde schwer werden, aber er hatte eher mit Schwierigkeiten von Seiten Frankas gerechnet.
Bislang hatte sie noch keinen Ton gesagt, aber sie war blass geworden und hatte mit zitternder Hand ihr Glas abgestellt. Terence nahm sie in die Arme. Eine unsichtbare, aber deutlich spürbare Mauer hatte sich zwischen dem Paar und dem Captain aufgerichtet. Wenn er auf seinem Willen bestand, würde er mit dieser Mauer leben müssen, das konnte er deutlich an Terences zusammengekniffenen Augen ablesen.
Derek seufzte und erhob sich.
»Verdammt! Du weißt genau, dass ich das nicht zulassen werde. Ihr beide seid mir wichtiger als zehn Jörgs. Dann wird eben er in seiner Wohnung bleiben.«
Derek schickte sich zum Gehen an.
»Warte!«
Franka hatte sich aus ihrer Erstarrung gelöst, sie spürte die gefährlichen Schwingungen zwischen den beiden Männern allzu deutlich.
»Ich bin einverstanden! Du kannst ihn auf die Brücke bringen lassen. Aber unter einer Voraussetzung: Ich will ihn nicht sehen. Es dürfte ja kein Problem sein, ihn in die hinterste Reihe zu setzen, sodass ich seinen Anblick nicht ertragen muss. Wenn er in meine Nähe kommt, bring ich ihn um!«
Derek erschrak über den Hass in ihrer Stimme. Er war damals froh gewesen, als Alice für ihre Forderung, Jörg hinzurichten, keine Mehrheit errungen hatte. Nun fragte er sich, ob er die Situation nicht unterschätzt hatte. Jörg und Franka auf einem Schiff, das war wie eine Zeitbombe, die jederzeit hochgehen konnte. Derek warf Terence einen erleichterten Blick zu, den Terence mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken beantwortete.

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