Mona Kim Bücher Lose Enden Band 1
Freitag, 12. Januar 2007
Es war Nacht an den Ufern der Donau. Die Wege rechts und links am Wasser entlang lagen verlassen im diffusen Licht der Uferpromenadenbeleuchtung. Gegen die dichtwachsenden Bäume und Büsche verloren die Lampen, von denen auch noch viele beschädigt waren, selbst im Winter ihren Kampf gegen die Dunkelheit. Morgens um halb sechs vergingen zu dieser Jahreszeit noch beinahe zwei Stunden, bevor sich der erste Streifen Helligkeit am östlichen Horizont zeigte.
Vom Parkplatz der Donauhalle aus näherte sich eine Gruppe von Männern einem der Wirtschaftsgebäude. Während der Landesgartenschau errichtet, beherbergten die schmucklosen Bauwerke allerlei Maschinen und Geräte, sowie Ausrüstungen für die Reinigung der Fußwege und für den Winterdienst. Als die Männer vor der Tür der Lagerhalle angekommen waren, warteten sie frierend und zigarettenrauchend. Ihre Unterhaltung war spärlich und gedämpft. Nicht, weil jemand sie hören könnte – um diese Zeit war außer ihnen kaum jemand unterwegs –, sondern weil morgendliche Stille und die eigene Schlaftrunkenheit die Stimmung drückte. Hin und wieder stampfte einer mit den Füßen auf und verfluchte die Kälte. Dabei waren sie alle warm angezogen mit ihren gefütterten Bundeswehrparkas, ihren Springerstiefeln und den Wehrmachtshosen. Nur einige trugen warme Mützen. Bei den anderen sah man raspelkurz geschnittene Haare oder sogar kahl geschorene Köpfe. Endlich näherten sich schwere Stiefelschritte. Die wartenden Männer nahmen Haltung an, schlugen die Hacken zusammen und salutierten. Der Neuankömmling schloss die Tür auf.
»Rühren!«
Die Gruppe trottete hinter dem Neuen her in das Gebäude, dessen Inneres aus einem einzigen großen Raum bestand. An den Wänden standen verschiedene Gerätschaften aufgereiht, Werkzeuge hingen an Wandhaken. Die Fläche in der Mitte des Raumes war frei. Dort stellten sich die Männer in einem Kreis auf. Der Mann, auf den sie zuvor draußen gewartet hatten, trat in die Mitte. Kaum hatte er dort seinen Platz eingenommen, standen alle um ihn herum stramm, hoben den rechten Arm und brüllten im Chor: »Heil dem Führer!« Anschließend knallten sie ihre Fäuste an die Nähte der Hosenbeine, bis ein »Rühren!« des Anführers bequemeres Stehen erlaubte.
»Kameraden!«, begann dieser im Kasernenhoftonfall. »Ich erkläre das Treffen der Deutschlandfront Ulm für eröffnet. Den Wochenbericht beginnt heute Gruppenführer Melzer.«
Ein etwa fünfundzwanzigjähriger Mann trat einen Schritt vor, nahm militärische Haltung an und begann: »Gruppenführer Melzer, verantwortlich für die Einsatztruppe Kuhberg, meldet sich zum Bericht!«
Dann ratterte er in stakkatoartiger Kurzfassung sämtliche Aktivitäten der ihm unterstellten Jugendlichen und jungen Erwachsenen herunter, mit denen sie den in Ulm lebenden Fremden und jüdischen Mitbürgern das Leben schwer machten. Nach vollendetem Rapport trat er in den Kreis zurück, die anderen erhoben den rechten Arm und belohnten Gruppenführer Melzers Vortrag mit einem donnernd gebrüllten »Heil!«
Einer nach dem anderen traten sie nun vor und erstatteten Meldung. Von rechtsradikalen Schmähschriften an Hauswänden über Grabschändungen bis zu tätlichen Angriffen und ernsthafter Körperverletzung war alles geboten. Nachdem auch der letzte Gruppenführer seinen Bericht abgeliefert hatte, wurde die Stimmung etwas zwangloser. Der Obergruppenführer hatte an keinem der Berichte etwas auszusetzen, was die zuvor spürbare Spannung merklich milderte. Hatten sie doch schon oft erlebt, wie dem einen oder anderen von ihnen mangelnder Einsatz vorgeworfen worden war.
Einer der Männer zeigte den anderen eine SMS, die ihm ein Arbeitskollege geschickt hatte:
Wenn Ali an der Eiche baumelt,
Mehmet durch den Gasraum taumelt,
wenn man mit dem Hakim teert,
dann ist Deutschland wieder lebenswert!
Die Dichtung wurde mit allgemeinem Gejohle aufgenommen und sofort per SMS weitergeleitet. Dann trat ein etwa vierzig Jahre alter Mann, der sich beim Rapport als »Gruppenführer Theil, verantwortlich für die Einsatztruppe Eselsberg« vorgestellt hatte und der ganz offensichtlich der Älteste in der Runde war, zum Obergruppenführer und redete leise auf ihn ein.
»Du weißt, wegen der Sache mit dem indischen Mädchen: Der Vater, dieser Curryfresser, hat Anzeige erstattet. Dummerweise haben die beiden anderen Gören, die dabei waren, Olaf auf einem Polizeifoto wiedererkannt. Letztes Jahr, bei der Demo in Stuttgart, hat er sich nach einer Prügelei von der Polizei hopsnehmen lassen, der Idiot. Und jetzt das. Ulli und Thorsten hatten die Bullen dann natürlich auch schnell. Bis die Verhandlung vorbei ist, würde ich sie gerne aus den Aktivitäten meiner Gruppe heraushalten.«
Obergruppenführer Guido Berghammer kannte Gruppenführer Gustav Theil aus langjähriger Zusammenarbeit. Sie waren fast gleichaltrig. Nach kurzer Überlegung sagte Berghammer: »Solange die anderen gute Arbeit leisten, kannst du deinen Sohn und seine Freunde heraushalten. Ich werde dir für die nächste Zeit ein paar andere Männer zuteilen. Allerdings müssen alle an einer Großaktion teilnehmen, die ich jetzt gleich ankündigen werde. Sie findet vermutlich im September statt. Falls die Verhandlung bis dahin nicht vorbei ist, müssen die Drei bei diesem großen Einsatz trotzdem dabei sein, denn wir können bei der Sache auf keinen Einzigen von uns verzichten. Jeder wird gebraucht.«
Gruppenführer Theil, Olafs Vater, nickte zufrieden.
»Stillgestanden!«, brüllte Obergruppenführer Berghammer.
In Sekundenschnelle hatten sich alle Gruppenführer wieder in den Ring eingegliedert und Haltung angenommen.
»Ich habe das Vergnügen, euch eine Aktion anzukündigen, bei der jeder Einzelne von euch die Ehre hat, mitmachen zu dürfen. Im September soll in Berlin die Renovierung der Synagoge beendet sein, zur Neueröffnung gibt’s ein großes, wirklich internationales Fest. Nie wieder werden wir so viele Juden und Judensympathisanten auf einem Haufen erwischen. Unser Ziel ist es, so viele wie möglich zu erledigen. Wie das im Einzelnen stattfinden wird, werdet ihr später noch erfahren. Der genaue Termin steht ebenfalls noch nicht fest. Ich teile ihn euch natürlich rechtzeitig mit. Die Aktivitäten unserer Berliner Kameraden konnten den Fortgang des Baus bisher immer wieder verzögern. Leider hat die Polizei die Baustelle inzwischen unter permanenten Schutz gestellt. Was wir natürlich mit unseren Steuergeldern bezahlen. Ihr werdet auf jeden Fall auf dem Laufenden gehalten. Für heute erkläre ich unser Treffen für beendet. Wir sehen uns am nächsten Freitag wieder.«
Ein gemeinschaftliches »Heil dem Führer!«, gefolgt von Berghammers gebelltem »Rühren!« beendete die konspirative Versammlung.
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