Das Gewicht der Leere - Kapitel 11

 


Mona Kim Bücher Das Gewicht der Leere Roman

Am Abend kam es zu einem Zwischenfall im Casino. Fast alle Tische waren besetzt. Franka hatte sich von Tom und Alice überreden lassen, noch auf ein Gläschen Wein mitzukommen. Der Captain und Melanie, Tom und Alice, Vasili und Susanne, Franka, Terence und Reuben, der zweite Arzt an Bord, saßen an einem der Tische beisammen. Gesprächsthema war eine Art Grippeinfektion, die sich einige Menschen an Bord eingefangen hatten. Bis jetzt war der Verlauf bei den Betroffenen leicht und unproblematisch, aber eine Infektion in einem hermetisch abgeschlossenen System war nie auf die leichte Schulter zu nehmen.
»Mir bereitet vor allem die Frage Sorge, woher die Viren kommen«, gestand Reuben. »Wir sind jetzt seit einem halben Jahr unterwegs. Alle Infektionen, die wir möglicherweise noch von der Erde an Bord eingeschleppt haben, müssten eigentlich längst ausgebrochen sein.«
Muhammed am Nebentisch, der es trotz der Rationierung harter Getränke geschafft hatte, sich einen ordentlichen Rausch anzutrinken, drehte sich zu Reuben um:
»Ein halbes Jahr unterwegs«, lallte er mit schwerer Zunge. »Und ich habe in all der Zeit keine Frau mehr gehabt!«
Er legte den Arm um die neben ihm sitzende Griechin Sofia, die vor seinem Alkohol-Atem zurückwich und sich aus Muhammeds Umklammerung befreite.
»Du bist betrunken. Es wäre besser, wenn du ins Bett gehen würdest«, sagte Sofia ungehalten.
Aber Muhammed war nicht so leicht abzuwimmeln.
»Nur, wenn du mitkommst. Ich bin scharf wie 'ne Rasierklinge. Auf der Erde hab ich's mindestens dreimal die Woche mit 'ner Frau getrieben, und zwar nicht immer mit meiner eigenen. Und jetzt schon ein halbes Jahr so völlig ohne! Sofia, nun hab schon Mitleid mit mir!«
»Keine Chance! Such dir eine andere, ich bin nicht interessiert.«
»Ihr verdammten Ungläubigen! Erst lauft ihr halbnackt in der Gegend herum, bis jeder Mann in eurer Umgebung wild wird, und dann heißt es: Ich bin nicht interessiert. Wir sollten eigentlich überhaupt nicht erst groß fragen, sondern euch einfach hernehmen.«
Alle Frauen, die in Hörweite waren, blickten empört auf. Derek, Terence und Tom erhoben sich. Doch bevor sie sich Muhammed nähern konnten, hatte er Sofia in den Ausschnitt gegriffen und sie grob an den Busen gefasst. Muhammeds Tischnachbar riss den Araber zurück. Tom und Terence packten ihn und schleiften ihn unter heftiger Gegenwehr aus dem Raum. Der Captain folgte ihnen.
»Ihr seid natürlich zufrieden«, brüllte Muhammed erbost. »Ihr habt euch ja gleich die Besten rausgepickt. Wie oft treibt ihr's denn jede Nacht?«
Eine Freundin legte der schluchzenden Sofia tröstend den Arm um die Schultern. »Soll ich dich in deine Wohnung bringen?«, fragte sie. »Der Kerl ist doch stockbesoffen. Hoffentlich polieren sie ihm jetzt ordentlich die Fresse!«
»Ich will nach Hause, und zwar auf die Erde! Ich will nicht länger hier sein. Ich halt das nicht mehr aus!«
Sofias Stimme gellte hysterisch. Alice gab der Griechin eine Ohrfeige, während Reuben hinauseilte, um seinen Arztkoffer zu holen.
»Tut mir leid, Sofia, aber das musste jetzt wirklich sein«, entschuldigte sich Alice und brachte Sofia aus dem Casino.

Stille legte sich über den Raum. Nach und nach setzten sich alle wieder, aber lange sprach niemand.
»Auf die Dauer geht das so nicht weiter!«, bemerkte ein Mann.
»Was geht so nicht weiter?«, konterte darauf eine ziemlich aggressiv klingende Frauenstimme.
»Du brauchst mir nicht gleich an die Gurgel zu fahren. Aber auf die Dauer kannst du einen Mann, den es nach einer Frau verlangt, einfach nicht im Zaum halten! So ist das nun mal, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Schließlich kann man hier nicht einfach in den nächsten Puff gehen oder sich in einer Bar eine aufreißen wie früher auf der Erde.«
 »Aber weniger saufen kann man hier sehr wohl! Und vielleicht bildet ›Mann‹ sich dann auch weniger ein, unbedingt eine Frau zu brauchen. Ihr Typen redet euch das doch nur ein! Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass weder ein Mann unbedingt eine Frau braucht noch umgekehrt. Das ist alles lediglich anerzogen!«
»Wissenschaftlich nachgewiesen! Wenn ich das schon höre! Das hilft mir ungeheuer, wenn ich nachts allein im Bett liege!«
»Dann hol dir eben einen runter!«
»Was glaubst du, was ich das letzte halbe Jahr gemacht habe?«
Einige lachten, aber es war kein besonders fröhliches Lachen. Der Captain, der Erste Offizier und Tom kehrten zurück. Kurz darauf kamen auch Alice und Reuben wieder.
»Wie geht es Sofia?«, fragte Derek.
»Ich habe ihr ein leichtes Schlafmittel gegeben. Ihre Freundin bleibt bei ihr. Was habt ihr mit dem Kerl angestellt?«
Reubens Frage vorerst ignorierend, wandte sich der Captain an alle: »Das Beste ist, wir machen für heute Schluss! Wir treffen uns aber alle morgen Abend um acht Uhr hier im Casino. Wir müssen uns darüber einig werden, wie wir mit solchen Situationen umgehen. Es geht darum, für die Zukunft Regeln aufzustellen und darüber zu diskutieren, was zu tun ist, wenn diese Regeln übertreten werden. Muhammed halten wir heute Nacht in einer der Wohneinheiten unter Verschluss, das hilft ihm sicher beim Nachdenken. Morgen müssen wir uns überlegen, wie wir mit ihm verfahren. Ihr könnt euch alle Gedanken machen, selbstverständlich darf jeder seine Meinung äußern. Gute Nacht!«

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