Mona Kim Kurzgeschichten Eine Schöpfungsgeschichte
Stellen wir uns einmal vor, es gibt einen Gott. Dieser besteht so aus einer Art Elektrizität, die gleichzeitig überall sein kann und natürlich ist er unendlich. Unendlich zu sein, kann auf Dauer ganz schön langweilig werden, deshalb braucht Gott Zerstreuung. Eines göttlichen Tages, die dauern natürlich ungleich viel länger als Erdentage, fasst Gott daher einen Entschluss: Ich will etwas Außergewöhnliches schaffen! Etwas, an dem ich mich über lange Zeit hinweg erfreuen kann. Gesagt, getan, er machte sich unverzüglich ans Werk.
Und da wurde Gott auch sogleich mit dem ersten Problem konfrontiert: seine ätherische Gestalt. Etwas aus Materie schaffen, wenn man selbst aus reinem Geist besteht, ist schwierig, weil man ja immer durchlangt. Abgesehen davon, musste Gott auch Materie erst erschaffen, die gab es ja noch nicht. Das war vergleichbar einfach, aber das Problem des Durchlangens blieb. Für uns Menschen ist das kein Problem. Obwohl alle Materie aus Atomen besteht und diese Atome aus einem winzig kleinen Atomkern und ein paar noch winzig kleineren Elektronen, die Atome also zu mehr als neunundneunzig Prozent aus Nichts bestehen, kommen sie uns hart vor, zumindest im Festzustand, nehmen wir mal eine Tischplatte. Rein theoretisch müsste bei so viel Luft unser Arm, der ja auch aus Atomen besteht, mit genauso viel Nichts dazwischen, durchlangen können, ohne anzustoßen. Ein leichtes Kribbeln vielleicht, weil man einem Elektron zunahegekommen ist. Dass das nicht funktioniert, daran ist Heisenberg schuld. Er hat die Heisenberg'sche Unschärferelation erfunden, die besagt, dass man nicht gleichzeitig den Ort und die Geschwindigkeit eines Elektrons bestimmen kann. Banal gesagt, schwirren die Elektronen so schnell in ihren Orbitalen herum, dass keine Zeit zum Durchlangen bleibt.
Unser Gott hat das gegenteilige Problem, vermutlich hat er von Heisenberg noch nichts gehört, deshalb muss er seine eigene Materie verdichten. Wie er das macht, ist nicht überliefert, aber er schafft es natürlich, schließlich ist er Gott. Nachdem die erste Schwierigkeit erfolgreich überwunden ist, erschafft Gott erst einmal das Weltall. Das ist nicht so problematisch, weil es ja bloß ein riesig großer und ziemlich leerer Raum ist. Diesen schaut Gott sich eine Weile ganz zufrieden an. Auf Dauer ist ihm die Leere dann aber doch zu langweilig und auch zu dunkel, deshalb hängt er ein paar brennende Bälle rein. Das Feuer hat er schon im Rahmen einer früheren Zerstreuung erfunden. Ob er es auch zur Bildung einer Hölle einsetzt, das bleibt der Imagination jedes Einzelnen überlassen. Nun sind brennende Kugeln zwar sehr schön anzusehen, aber von geringem Unterhaltungswert und Gott wirft noch ein paar Brocken übriggebliebene Materie dazu. Da entwickelt das Ganze schon ein gewisses und faszinierendes Eigenleben. Die Feuerbälle, die er in eine schnelle Rotation versetzt hat, weil das schön aussieht, erzeugen ein Kraftfeld, das die Materiebrocken anzieht. Manche fallen rein und das gibt eine tolle Explosion und zischt, aber manche finden auch ein gewisses Gleichgewicht und kreisen um die brennenden Bälle, die wir von jetzt ab, der Einfachheit halber, Sonnen nennen. Durch das schnelle Drehen werden die umkreisenden Bälle nach einiger Zeit rund. Alles was raussteht, wird sozusagen glattgebügelt, und wir nennen sie Planeten.
Gott schaut sich das an und findet es für eine begrenzte Zeit sehr okay. Die Planeten, die den Sonnen nahe sind, sind extrem heiß und entwickeln Gase. Die Planeten, die weit von den Sonnen weg sind, erstarren in gefrorener Materie. Alles in allem eine ziemlich unwirtliche Angelegenheit. Da kommt Gott plötzlich ein interessanter Gedanke: Vielleicht gibt es ja eine Entfernung, bei der sich die zu große Hitze und die zu große Kälte die Waage halten. Um das auszuprobieren stupst er einen der Planeten, einen ziemlich kleinen, ein bisschen näher an seine Sonne heran. Eine Zeitlang muss Gott stupsen, bis er die richtige Entfernung gefunden hat. Aber, siehe da: Auf diesem kleinen Planeten schmilzt die gefrorene Materie und kühlt die flüssige, heiße Materie ab. Ziemlich viel Druck und Temperatur ist dabei auch im Spiel, was so nebenbei zur Bildung von - bis dahin unbekannter - Materie führt. Doch nach einer göttlich kurzen Zeit von Donner und Blitz, Schwefelsäure und Methanregen und vielen anderen kuriosen Entwicklungen, beruhigt sich das Ganze etwas. Es entstehen Ozeane aus H2O und eine Atmosphäre aus Stickstoff, Sauerstoff und Edelgasen. Die Kruste des Balles erkaltet und wird fest. Da sie ziemlich unregelmäßig ist, mit tiefen Dellen und Spitzen, sammelt sich das Wasser in den Dellen. Zu dieser Zeit gab es zwar noch keinen Newton, aber die Schwerkraft gab es schon. Das hatte was mit der Drehung und dem Eisen im Kern des Planeten zu tun, was von Gott zwar nicht beabsichtigt gewesen war, sich aber als ganz nützlich herausstellte, weil dann nicht alles wie auf einem Karussell davonflog. Nun musste Gott vorerst nur noch zuschauen, wie sich sein Spielzeug ganz von selbst veränderte. Es war immer noch ziemlich unwirtlich da unten, aber das war die Voraussetzung für weitere Entwicklungen.
Irgendwann begannen die Atome Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und noch ein paar andere, ein Eigenleben zu entwickeln. Der Kohlenstoff streckte seine vier Arme in alle Richtungen aus und fasste die anderen Elemente an den Händen. Wasserstoff war am einfachsten zu halten, weil er so leicht war. Sauerstoff war schon schwieriger, da brauchte der Kohlenstoff manchmal zwei Arme für ein Sauerstoffatom, für Stickstoff manchmal sogar drei! Aber meist blieben noch zwei Arme übrig, um zwei andere Kohlenstoffatome festzuhalten und damit konnte man eine schöne lange Kette bilden, wie bei einer Friedensdemonstration. Diese langen Ketten in verschiedensten Formationen bildeten Leben.
Für irdische Maßstäbe ziemlich lange schaute Gott einfach nur fasziniert zu. Da gab es Leben, das immer an dem Ort blieb, an dem es entstanden war, weil es durch Körperteile in der Oberfläche verankert war und es gab Leben, das unabhängig von der Oberfläche war und sich deshalb von einem Ort zum anderen bewegen konnte. Gott nannte das ortsgebundene Leben "Pflanze" und das ortsungebundene Leben "Tier". Pflanzen entstanden und vergingen, Tiere entstanden und vergingen. Das war eine Zeitlang ganz unterhaltsam, weil die Pflanzen und Tiere anscheinend ein unbändiges Verlangen hatten, auf Kosten von anderen Pflanzen und Tieren zu überleben. Da hatte Gott erst viel zu lachen, aber dann nervte ihn das ständige Gemetzel doch und er beschloss eine zusätzliche Komponente ins Spiel zu bringen. Eine Tierart schien ganz gut geeignet zu sein, weil sie vier Extremitäten hatte, an deren Ende ziemlich bewegliche Knochen saßen, die zu etwas differenzierteren Tätigkeiten geeignet schienen, als nur dazu, andere Tiere festzuhalten, um ihnen den Kopf abzubeißen. Sie konnten zum Beispiel die vielen winzig kleinen Tiere, die sie ständig juckten, zwischen zwei der Knochen zerdrücken. Das war schon mal ganz gut. Aber etwas musste er noch hinzufügen, damit sich diese von den anderen Tieren unterschieden.
Gott gab ihnen die Gier und damit war der Mensch erschaffen.
Das hört sich aus heutiger Sicht nicht unbedingt wie das Klügste an, aber da muss man erst ausführlich darüber nachdenken. Die bisherigen Tiere brachten sich gegenseitig um, weil sie Hunger hatten. Wenn es kalt war, suchten sie sich einen warmen Ort und ließen sich ein Fell wachsen. Wenn es heiß war, fiel das Fell aus oder sie tummelten sich zur Abkühlung im Wasser oder sie legten sich einfach faul in die Sonne. Und genau das tun sie auch noch heute.
Die neue Tierart aber war ganz anders! Essen, weil man Hunger hat reicht nicht, es muss mehr Essen da sein, als gebraucht wird. Ein warmer Platz reicht nicht, es müssen zwei warme Plätze sein. Dann hat der Nachbar plötzlich auch zwei warme Plätze. Da brauche ich aber drei, mindestens. Bei manchen Spezies dieser neuen Tierart war die Gier stärker ausgeprägt, als bei anderen, auch nahm die Gier verschiedene Formen an. Sie spaltete sich sozusagen auf in Gier nach Besitz und Gier nach Macht. Die Besitzgierigen wurden reich, die Machtgierigen wurden Politiker. Schließlich kann man als Politiker, seine Machtgier am besten befriedigen.
Gott hat das eigentlich so gar nicht beabsichtigt. Er hat nur geglaubt, wenn jemand etwas haben will, strengt er sich ein bisschen an. Jemand der zufrieden ist, hat keinen Grund sich anzustrengen. Das ist ja auch nicht falsch, bloß, so aus Gottes Sicht gesehen, eben langweilig.
Ganz zu Anfang gab es für die Machtgierigen wenige Möglichkeiten, ihr Bedürfnis zu befriedigen. Wenn man stark war, konnte man den Anderen eins auf die Birne geben. Das war befriedigend, aber ziemlich aufwändig. Später, so Richtung Mittelalter, verbündeten sich Besitz- und Machtgier und es entstanden die Ritter und die Könige und natürlich die Kirche.
König zu sein hatte in Bezug auf Macht zwar viele Vorteile, aber leider auch einen gravierenden Nachteil: Es gab immer nur einen König pro Land, aber viele Machtgierige. Bis einer eine tolle Idee hatte: Warum soll denn immer nur einer über viele andere herrschen? Das war doch Blödsinn. Das geht doch auch anders! Er erfand die Demokratie und siehe da, plötzlich konnten eine ganze Menge Machtgieriger über die anderen Menschen, die nannten sie das Volk, herrschen. Als das immer noch nicht genug war, erfand man die Überhangmandate.
Gott schaut zu und fragt sich: Ist es das, was ich beabsichtigt habe?
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