Durst und Hunger waren
immer da. Selbst direkt nach dem Schluck Wasser und der kleinen Portion
Maisbrei waren sie nicht verschwunden. Sie gehörten zu Jamila wie gehen,
sprechen, schlafen. Nie war genug da. Aber schlimmer noch als ihr eigener Durst
und ihr eigener Hunger war das klägliche Wimmern ihres kleinen Bruders Adisa.
Als es endlich aufgehört hatte, hinterließ es ein Adisa-förmiges Loch in
Jamilas Brust, das sich nie wieder füllte.
Jamila hasste die Sonne. Die Sonne war die
Feindin, die alles austrocknete, die jede Ernte zerstörte, die alle Anstrengung
und alle Hoffnung zunichtemachte. Selbst die seltenen Regenfälle kapitulierten
vor der Sonne. Die steinharte Erde konnte das Wasser nicht aufnehmen, es
verdunstete auf der Oberfläche ohne Wirkung.
Jamilas Vater war ein angesehener Mann im
Dorf. Er hatte die Dorfbewohner dazu angeleitet, den Regen in Gefäßen
aufzufangen, wenn er kam. Aber es gab nicht genügend Gefäße. Deswegen hatten die
Menschen das kostbare Nass mit einer Folie aufgefangen und dann in einen großen
Bottich geleitet. Alle hatten gejubelt. Aber der Bottich war undicht und das
Wasser versickerte in der staubigen Erde. Da waren sie in die Hauptstadt Abuja
gefahren, um einen Tank zu kaufen. Der kostete 700.000 Naira!
Jamila war zehn Jahre alt, als sich alles
änderte. Fremde Menschen mit heller Haut kamen. Sie scharten die Erwachsenen
des Dorfes um sich. Sie sprachen. Einer kannte ihre Sprache und ihren Dialekt
und übersetzte. Die Fremden redeten von Wasser und von Strom, von einer größeren
Schule und einem Krankenhaus. Darüber lachten die Erwachsenen des Dorfes: Die Weißen
hatten wohl noch nie versucht, im trockenen Sand zu graben. Man konnte buddeln so
viel man wollte, der Sand rutschte immer wieder nach. Wasser wäre notwendig gewesen,
um den Sand zu befestigen. Aber wer würde schon kostbares Wasser zum Bauen
verschwenden, wenn nicht einmal genügend davon vorhanden war, um den
immerwährenden Durst der Menschen zu stillen oder die kümmerlichen Pflanzen zu gießen?
Unbeirrt fingen die Fremden an zu arbeiten.
Sie schafften Rohre und Werkzeuge heran, Baumaterial, Maschinen und große
Tankwagen voller Wasser. Sie brachten hochaufragende Windräder und große Sonnenkollektoren,
mit denen sie dem unermüdlichen Wüstenwind und der ebenso unermüdlichen Sonne
Strom abgewannen. Sie bauten Wasserspeicher für den seltenen Regen. Die
Dorfbewohner schauten zu. Sie hatten ja nichts anderes zu tun. Dann fing einer von
ihnen an, dabei zu helfen, ein großes, schweres Rohr in die dafür gegrabene
Rinne zu versenken. Bald machten alle mit. Ohne genau zu verstehen, was sie
taten, packten sie mit an. Der Übersetzer erklärte. Die, die ihn verstanden,
erklärten es den anderen. Zwischen all der Ungläubigkeit und all dem Staunen
begann langsam Hoffnung zu keimen.
Eine kleine Schule hatte das Dorf bereits. Beinahe
alle Leute konnten lesen und schreiben. Nun kamen neue Lehrer und Lehrerinnen,
die ihnen auch noch andere Dinge beibrachten: Mathematik, Technik, Fremdsprachen,
Chemie, Biologie, Geografie, die Geschichte ihres eigenen Landes und Dorfes, die
Geschichte anderer Dörfer, Länder und Kontinente.
Aber nicht alle der hellhäutigen Menschen,
die in das Dorf kamen, waren gut. Als Jamila elf Jahre alt war, musste sie erfahren,
dass auch böse darunter waren.
Trotz dieser schmerzlichen Erkenntnis saugte
Jamila wie ein Schwamm alles auf, was ihr an Wissen angeboten wurde. Ihr Vater
war der Erste gewesen, der bei dem Projekt der Fremden mit angepackt hatte.
Seiner Frau und seinen Kindern hatte er mit leuchtenden Augen von der Chance
vorgeschwärmt, die sie bekamen. Diese Chance war mit einem Namen verbunden:
James Davidson.
Sehr schöne Geschichte.
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