Das Gewicht der Leere - Kapitel 4

 


Mona Kim Bücher Das Gewicht der Leere

In dem kleinen Raum waren sechzehn Personen versammelt. Alle hatten sie gelbe Zettel mit der gleichen Uhrzeit bei sich: 10:30 Uhr.

»Guten Morgen! Ich hoffe, Sie haben alle gut geschlafen!«, begrüßte sie der schlanke junge Mann. »Ich heiße Adrian und werde Ihnen erklären, was wir uns heute für Sie ausgedacht haben. Wir haben für Sie einen kleinen sportlichen Wettkampf organisiert. Stella, meine Kollegin, wird gleich Overalls verteilen. An der jeweiligen Farbe erkennen Sie, welcher Mannschaft Sie angehören. Jeder Punkt, den Sie erringen, kommt Ihrer Mannschaft zugute. Strengen Sie sich also an! Wir beginnen mit einem Zweitausendmeterlauf. Jede der Mannschaften startet für sich. Die erzielten Zeiten werden danach addiert, daraus ergeben sich eine persönliche Punktzahl und eine Gesamtpunktzahl. Der Lauf hat auch den Vorteil, Sie für die nächsten Übungen warm zu machen. Wenn Ihnen irgendetwas zu viel oder zu anstrengend wird, hören Sie einfach auf. Sie brauchen keine Bloßstellung zu befürchten. Jeder von Ihnen erhält eine Auswertung der Ergebnisse. Daraus kann er seinen Leistungsstand im Vergleich zu dem der anderen Teilnehmer erkennen, wobei die Namen anonym bleiben. Es wird also niemand außer Ihnen erfahren, falls Sie nur eine niedrige Punktzahl erreicht haben. Natürlich gilt das umgekehrt auch für eine hohe Punktzahl. Das ist der Nachteil der Anonymität.«

Die Anwesenden lachten. Franka erhielt einen blauen Overall. Neugierig sah sie sich nach ihren Mannschaftskameraden und -Kameradinnen um. Im Nu formierten sich zwei Gruppen, Blau und Gelb, die sofort damit begannen, sich gegenseitig aufzuziehen. Der Trainer grinste belustigt.

»Es ist doch immer dasselbe: Kaum sind die Overalls ausgeteilt, beginnt der Wettkampf, und sei es auch nur verbal. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit nun vielleicht wieder mir zuwenden könnten, dann erfahren Sie, wie es später weitergeht. Wir müssen uns etwas beeilen. Die nächste Gruppe kommt bald, bis dahin sollten wir das Feld geräumt haben. Also: Nach dem Lauf folgt ein kleines Zirkeltraining. Sie müssen verschiedene Stationen durchlaufen und die dort geforderten Übungen absolvieren. Die Übungen werden Ihnen vorgemacht. Es kommt dann darauf an, wieviel Wiederholungen Sie innerhalb einer festgelegten Zeit schaffen, das entscheidet über Ihre Punktzahl. Fehler geben Abzüge, das ist klar. Wenn wir damit fertig sind, folgt ein Mannschaftsballspiel: Gelb gegen Blau. Dabei geht es nicht nur ums Gewinnen, sondern zudem um Geschicklichkeit, Fairness, Einsatz und Einhaltung der Regeln, die Sie kurz vorher erfahren werden. Es ist kein gängiges Mannschaftsspiel, sondern eines, das wir extra zu diesem Zweck entwickelt haben. So ist niemand von Ihnen im Vorteil, weil er zum Beispiel schon jahrelang Volleyball oder Basketball trainiert.«

»Schade!«, seufzte einer grinsend. Vermutlich war er, in Anbetracht seiner Größe, ein versierter Basketballspieler.

»Die vierte Station erfordert wieder Geschicklichkeit. Sie werden in die Kunst des Bogenschießens eingewiesen und müssen dann möglichst die Mitte einer Zielscheibe treffen. Erfahrungsgemäß können Sie aber stolz auf sich sein, wenn Sie die Zielscheibe überhaupt treffen. Nach dieser Kraftübung – Sie werden schnell merken, wieviel Kraft Ihnen der Bogen abverlangt – setzen wir Sie in einem Simulator einer ständig steigenden Schubkraft aus. Keine Angst, Sie haben jederzeit die Möglichkeit, den Test abzubrechen, sobald er Ihnen unangenehm wird. Aber bedenken Sie dabei: Natürlich entscheidet über Ihre Punktzahl, wieviel Beschleunigung Sie aushalten.

Zum Schluss haben wir uns etwas Lustiges für Sie ausgedacht: Ein Kartrennen macht immer Spaß, und nach einem abschließenden Staffellauf von achtmal einhundert Metern haben Sie es dann geschafft. Dabei kommt es auf Schnelligkeit und auf saubere Übergabe der Staffelhölzer an, das wissen Sie ja sicherlich. Nach jeder Übung haben Sie ausreichend Zeit zur Erholung. So, es geht los! Folgen Sie uns zu den Umkleideräumen. Die Damen bitte zu Stella, die Herren zu mir!«

Jede Mannschaft bestand aus vier Frauen und vier Männern. Während sie sich umzogen, musterten Franka und ihre blauen Teamgenossinnen einander. Hoffentlich blamierte sie sich nicht! Zwar hielt sie sich für ziemlich sportlich, aber die anderen drei Mitstreiterinnen waren durch die Bank jünger und sahen ebenfalls nicht gerade untrainiert aus. Das galt auch für die Frauen der gegnerischen Mannschaft.

»Ich heiße Alice Longmire – und du?«

Eine große schlanke Frau streckte Franka die Hand entgegen. Ebenso wie der Trainer Adrian und seine Assistentin Stella sprach sie Englisch.

»Ist doch besser, wenn wir uns miteinander bekannt machen. Das steigert auf jeden Fall den Teamgeist.«

»Da hast du recht! Ich bin Franka Reinhardt.«

Misaki Kuna, eine kleine Japanerin, und Odile Miller aus Australien ergänzten das blaue Damen-Quartett.

Draußen warteten schon die vier männlichen Teammitglieder: Tom Spencer war Amerikaner, Fernand Beaumont Franzose, Vasili Petrow Russe und Oskar Karasek kam aus Tschechien. Dann ging es los. Der Zweitausendmeterlauf wurde in einer der Röhren ausgetragen, die offenbar überall auf dem ehemaligen Wüstengelände die verschiedenen Hallen miteinander verbanden. Der in die Röhre eingelassene Boden war ungefähr vier Meter breit, und an der höchsten Stelle hatte die Röhre eine Höhe von etwa sechs Metern. Der weiche, gummiartige Belag des Fußbodens fühlte sich unter den Füßen angenehm an. Ein Chip in den Laufschuhen, die sie vor dem Start bekommen hatten, erfasste die Startzeit und würde am anderen Ende der Bahn auch die Ankunftszeit automatisch an einen Computer weiterleiten. Die Männer starteten zuerst, da sie vermutlich schneller sein würden. Nach zwei Minuten folgten ihnen Alice, Misaki, Odile und Franka. 

In diesem Moment wurde Franka plötzlich das Absurde der Situation bewusst: In einer Umfrage hatte sie eine Luxusreise gewonnen, und jetzt musste sie hier ein Trainingsprogramm absolvieren! Marias Skepsis kam ihr in den Sinn. Maria ... wo war sie überhaupt geblieben? Seit dem Vorabend hatte Franka die neue Freundin nicht mehr gesehen und heute Morgen mehrmals erfolglos an Marias Zimmertür geklopft. Denn auch beim Frühstück hatte Maria gefehlt.

Laufen bereitete Franka keine Schwierigkeiten. Allerdings auch der großen, schlanken Alice nicht. Anfangs blieben die beiden Frauen dicht beieinander und stachelten sich dadurch gegenseitig zu höherer Geschwindigkeit an. Franka konzentrierte sich auf ruhige und gleichmäßige Atmung. Schnell hatte sie ihren Rhythmus gefunden, obwohl sie hier nun deutlich schneller lief als zu Hause bei ihren entspannten Joggingrunden: Der Ehrgeiz, an Alice dranzubleiben, wirkte wie ein Motor.

Nach kurzer Zeit hatten Franka und Alice Misaki und Odile abgehängt. Die Japanerin war sicherlich durch ihre geringe Körpergröße – sie war höchstens einen Meter fünfzig groß – erheblich im Nachteil, während Odile als Läuferin ziemlich ungeübt schien. Als Franka und Alice schließlich um eine Kurve bogen, sahen sie das Ziel vor sich, wo schon ihre männlichen Teamkollegen warteten.

»Los! Sprint!«, feuerte Alice an und legte auf die letzten Meter noch deutlich an Tempo zu. Das ließ sich Franka nicht zweimal sagen. Unter dem »Schneller! Schneller!« der vier Männer ihrer Gruppe erreichten sie das Ziel fast gleichzeitig und völlig außer Atem.

»Ihr seid super!«, rief Tom anerkennend. »Tolle Leistung!«

Auch Oskar, Vasili und Fernand waren mit ihnen zufrieden. Zu sechst feuerten sie anschließend Misaki und Odile an, die ebenfalls das Letzte aus sich herauszuholen versuchten. Als schließlich auch die beiden völlig außer Atem das Ziel erreicht hatten, tröstete Tom die beiden Frauen, die überhaupt nicht mit sich zufrieden waren.

Nach einer zehnminütigen Erholungspause stellten sich die blauen Kandidaten an den verschiedenen Stationen des Zirkeltraining-Parcours auf. Diese waren in einer richtigen Sporthalle aufgebaut, deren Dach ebenfalls die kuppelförmigen Umrisse hatte, die alle Bauten dieser Anlage auszeichnete. Franka kannte die Übungen schon aus ihrer Schulzeit: Seilhüpfen, Liegestütze, waagerechtes Heben der Beine an einer Sprossenwand hängend, Bockspringen, Hochklettern an einer Stange und an einem Seil, sich mit den Armen an einer schräg eingehängten Bank hochziehen. Einzig Liegestützen fielen Franka schwer, da war sie noch nie gut gewesen. Sie beachtete die anderen nicht, sondern konzentrierte sich darauf, selbst alles so gut wie möglich zu machen.

Das Ballspiel machte Spaß. Die Männer ihrer Gruppe agierten rücksichtsvoll und nicht mit brutaler Kraft. Die Tore waren auf die Hallenwand aufgemalt. Ein Tor galt nur dann als erzielt, wenn der Ball, nachdem er das Torfeld getroffen hatte, den Boden berührte. Franka vereitelte einige Punkte für die gegnerische Mannschaft, indem sie den Ball vorher auffing. Auch Misaki gelang das mehrmals. Das Spiel dauerte nur zehn Minuten und endete drei zu zwei für die gelbe Gruppe. Dadurch ließen sich die Blauen aber nicht demotivieren. Denn bei den Gegnern hatten fast nur die Männer das Spiel aktiv bestimmt, und die hatten ziemlich oft gefoult. Wenn also auch Fairness und Spielgeist bewertet wurden, dann müsste die Gruppe, in der Franka war, eigentlich trotzdem vorne liegen.

Bogenschießen stellte sich als erstaunlich schwierig heraus. Schon allein das Spannen des Bogens erforderte unglaubliche Kraft. Nach dem dritten Versuch zitterten Frankas Arme vor Anstrengung. Alice und Li ging es genauso. Nur Odile glänzte. Ihre Kraft hatte sie schon bei den Liegestützen unter Beweis gestellt, das entschädigte sie für ihre schlechte Leistung beim Laufen. Die Männer hatten es bei dieser Etappe leichter. Zwar bekamen sie größere Bogen, aber die Vier waren alle recht kräftig gebaut. Nach einer Viertelstunde Einschießen ging es los. Jeder hatte zehn Versuche. Da sie immer der Reihe nach mit je einem Schuss drankamen, konnten sich ihre Arme bis zum nächsten Versuch erholen. Franka glückte es immerhin, sechsmal die Scheibe zu treffen, davon zweimal ziemlich in der Mitte. Für Überraschung sorgte Odile, denn sie war sogar besser als die Männer. Zehn Treffer landete sie, vier davon beinahe ins Zentrum! Nur die zarte Misaki war mit dem Bogen eindeutig überfordert. Die Pfeile, die sie abzuschießen versuchte, fielen alle bereits ein paar Meter vor dem Ziel zu Boden. Doch niemand nahm es ihr übel. Misaki wog höchstens vierzig Kilo, woher sollte sie da die Kraft nehmen, die für den straff gespannten Bogen erforderlich war?

Der Schubkraftsimulator, dessen vier ausladende Arme am Ende je eine kleine, an eine Fliegende Untertasse erinnernde Kapsel hatten, thronte wie eine riesige Krake in der Mitte des Raumes. Franka, Tom, Alice und Odile steuerten jeder eine der Kapseln an und ließen sich in den äußerst bequemen Sitzen nieder, die an die Anatomie des menschlichen Körpers angepasst waren. Einer der silbergekleideten Mitarbeiter ging um die »Krake« von einem zum anderen, half beim Anschnallen und kontrollierte, ob die Sicherheitsgurte richtig angelegt waren. Sein freundliches Lächeln half Franka über die Beklemmung hinweg, die der stramme Sitz der Gurte bei ihr auslöste. Ihr Kopf wurde von einem gepolsterten Stahlband in seiner Position gehalten, ihr übriger Körper war durch über der Brust gekreuzte und dann um die Hüften geschlungene Bänder straff auf dem Sitz fixiert. Handgelenksbänder pressten die Arme mit Druck auf die Armlehnen, auf dieselbe Weise waren die Füße mit der leicht schräg gestellten Beinauflage verbunden. Nun konnte Franka sich keinen Millimeter mehr rühren. Zwar sah sie den roten Knopf unter ihrem rechten Zeigefinger, mit dem sie die Fahrt würde anhalten können, allerdings war ihr dies nur eine geringe Beruhigung. Gerade als sich kalte beklemmende Angst in ihr auszubreiten begann, setzte sich der Simulator mit sanftem Surren wie ein Karussell in Bewegung. Anfangs fühlte sich das angenehm an, Franka war schon immer leidenschaftlich gerne Karussell gefahren. Auch als sie spürte, wie sich durch die Fliehkraft das Blut in ihren Beinen und Armen staute, empfand sie das zunächst nur als geringfügige Störung ihres Wohlbefindens. Die Beschleunigung wurde stufenlos erhöht, Franka benötigte dabei stets eine gewisse Zeit, bis sie die jeweilige Steigerung wahrnahm. Inzwischen war der Blutstau unangenehm geworden. Gleichzeitig fühlte Franka einen jäh aufflammenden Schmerz in ihrem Kopf. Ein zentnerschweres Gewicht schien ihren Brustkorb erbarmungslos zusammenzupressen und erschwerte mehr und mehr das Atmen. Doch wie immer in unangenehmen, extremen Lebenssituationen packte Franka der Ehrgeiz. Von Sekunde zu Sekunde überredete sie sich selbst immer wieder aufs Neue, noch ein wenig auszuhalten. Erst als sie von einer Flut gellender Panik überrollt wurde, drückte sie verzweifelt den roten Knopf. Doch nichts geschah. Im Gegenteil: Die Beschleunigung schien sich noch zu steigern! In wilder Verzweiflung hämmerte Franka mit dem Zeigefinger immer wieder auf den roten Knopf ein, schließlich ließ sie ihn gar nicht mehr los. Endlich! Was für ein Glück: Nach und nach verringerte sich das Tempo dieser wahnwitzigen, fieberhaften Karussellfahrt, bis das Gerät schließlich vollständig zur Ruhe kam. Die Fesseln an Frankas Körper – dieser Ausdruck erschien ihr inzwischen durchaus passend – öffneten sich allerdings nicht sofort, Franka musste einige Minuten lang unbeweglich sitzen bleiben. Fast war sie froh über diese Gelegenheit, ihren zitternden Armen und Beinen Erholung zu gönnen. Die leichte Übelkeit, die sie beim Nachlassen der Beschleunigung verspürt hatte, war wieder verschwunden, ebenso der Kopfschmerz. Nur das offenbar in den Adern gestaute Blut verursachte ein unangenehmes Kribbeln, als ob tausend Ameisen in ihren Blutbahnen unterwegs wären. Mit einem befreienden Klick öffneten sich schließlich die Gurte. Frankas erster Versuch, die Arme zu heben, misslang: Ihr rechter Arm kippte wie abgestorben von der Lehne. Daraufhin konzentrierte sie sich auf ihre Finger, versuchte, sie zu einer Faust zu ballen, was ihr nach wenigen Sekunden gelang. Als das qualvolle Kribbeln langsam nachließ, kehrte auch Frankas Bewegungsfähigkeit zurück. Der lächelnde Mitarbeiter in Silber, der ihr beim Anschnallen zur Seite gestanden hatte, half ihr schließlich beim Aufstehen und beim Aussteigen aus der kleinen Kabine. Wie eine alte Frau kam sie sich dabei vor, die ein freundlicher Mitmensch über die Straße begleitet. Danach wurde Franka in einen kleinen Aufenthaltsraum gebracht, in dem Alice und Odile schon warteten.

»Du siehst auch nicht besser aus als ich«, stellte Alice befriedigt fest. »Aber immerhin hast du es länger ausgehalten.«

»Vielleicht habe ich auch nur länger gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Das war nicht gerade angenehm. Auf ähnliche Tests kann ich in Zukunft verzichten!«

»Ich auch. Mir ist so übel! Wo mir doch schon bei der Fahrt in einem Kinderkarussell schlecht wird!«, murmelte Alice.

Odile schwieg. Sie war grün im Gesicht und presste mit verzweifelter Entschlossenheit die Lippen zusammen. Als sie Alices Worte hörte, sprang sie jäh auf und stürzte in die Toilette, die sich neben dem Aufenthaltsraum befand.

»Sie scheint es nicht besonders gut verkraftet zu haben. Wo bleibt Tom?«

Als ob er auf Alices Frage gewartet hätte, marschierte Tom herein. Ihm schien es blendend zu gehen. Nicht das geringste Anzeichen von wackeligen Beinen oder bleichem Gesicht!

»Das war super!«, strahlte er. »Nicht so Kleinkram wie diese gymnastischen Übungen vorhin.«

Alice und Franka sahen sich verständnislos an. Männer! Da sie in diesem Augenblick begriffen, dass sie genau dasselbe gedacht hatten, prusteten sie los. Tom ertrug es mit Fassung, Ursache ihrer Heiterkeit zu sein. Dann holten sie sich aus einem Automaten in der Ecke Kaffee und warteten auf ihre Mannschaftskameraden. Es zeigte sich, dass es denen auch nicht viel besser ergangen war als Franka, Alice und Odile. Toms Bärennatur hatte keiner von ihnen. Schließlich begaben sie sich gemeinsam zur nächsten Station ihres Parcours.

Franka war noch nie vorher Kart gefahren, aber es machte ihr jetzt riesigen Spaß. Zehn Runden musste sie in möglichst kurzer Zeit absolvieren. Als sie am Ende mit leicht wackeligen Knien aus dem kleinen Rennwagen stieg, hatte sie keine Ahnung, ob sie gut oder schlecht gewesen war. Alice meinte, es hätte beindruckend ausgesehen, auch Vasili reckte voller Hochachtung den Daumen in die Höhe. Aber der Star bei dieser Übung war Fernand, denn Kartfahren war schon immer seine Leidenschaft gewesen.

Nun fehlte nur noch der Staffellauf. Sie beschlossen, dass Odile als Dritte starten sollte, denn da würde ihre Schwäche im Laufen vielleicht nicht so auffallen und sie selbst deprimieren. Misaki hingegen wollte unbedingt den Anfang machen, damit sie das Holz nur einmal übergeben musste. Sie hatte nämlich panische Angst, es fallen zu lassen und damit alles zu vermasseln.

Die Japanerin rannte schnell wie ein Wiesel. Sprinten lag ihr mehr als Langstrecke. Ohne Zwischenfall übernahm Tom das Holz und gab es an Odile weiter. Was Misaki und Tom an Vorsprung herausgeholt hatten, vergab Odile erwartungsgemäß wieder. Oskar und Vasili konnten danach wieder etwas an Tempo aufholen. Dann kam Franka an die Reihe. Sie war eine gute Sprinterin, und nachdem sie das Holz an Fernand abgegeben hatte, lagen sie wieder deutlich in Führung. Fernand hielt den Vorsprung, vergaß dann aber leider, das Holz an Alice abzugeben, weswegen sie ihm ein paar Meter nachlaufen und das Staffelholz aus der Hand reißen musste. Durch diese Panne hatten sie wieder Gleichstand mit den Gelben. Doch Alice, das Schlusslicht, rannte, als ginge es um ihr Leben. Am Ende wussten sie selbst nicht so recht, welche Mannschaft nun gesiegt hatte, denn die beiden letzten Läufer waren ziemlich gleichzeitig im Ziel angekommen. Fernands betretene Entschuldigungen für seine Unachtsamkeit wurden freundschaftlich weggewischt: »Macht nichts, ist doch nur ein Spiel!«

Mehr oder weniger mit sich selbst zufrieden trennten sie sich wieder, jeder freute sich nun auf eine wohlverdiente Dusche. Dieser überraschende Wettkampf hatte doch tatsächlich großen Spaß gemacht, auch wenn es nicht gerade das war, was man so landläufig bei einer Urlaubsreise erwartete. Aber Futura 3000 war eben keine gewöhnliche Urlaubsreise! Die Erfahrung mit der unangenehmen Beschleunigungskammer war schon fast wieder vergessen.

Als sie sich erfrischt und wieder umgezogen hatten, erwartete sie ein vorzügliches Mittagessen im Speisesaal des Hotels. Wieder hielt Franka Ausschau nach Maria, konnte sie aber auch diesmal nicht entdecken. Dann setzte sie sich mit ihren neuen Wettkampf-Verbündeten zusammen, die zwei der Tische kurzerhand aneinandergeschoben hatten, ein Beispiel, dem viele der anderen Teamgenossen ebenfalls folgten. Das gemeinsame Spiel hatte eine Vertrautheit entstehen lassen, wie sie sonst erst nach Tagen zustande gekommen wäre. Sie kamen aus acht verschiedenen Nationen. Sicher waren sie absichtlich so gemischt worden. Auch alle Nicht-Muttersprachler sprachen ganz ordentlich Englisch, wodurch die Verständigung kaum behindert war.

Nach dem Mittagessen zogen sie sich zurück. Die sportliche Betätigung hatte den Wunsch nach einem Mittagschlaf geweckt. Um vierzehn Uhr sollte dann die eigentliche Simulation der Reise ins Weltall beginnen, zu der sie in ihren Zimmern abgeholt und zur »Rakete« gebracht werden würden.

Bevor sie sich wohlig ermattet auf dem Bett ausstreckte, unternahm Franka nochmals einen Abstecher zu Marias Zimmer. Als Franka klopfen wollte, bemerkte sie, dass die Tür nur angelehnt war. Zögernd trat sie ein. Das Zimmer war leer und tadellos aufgeräumt. Man konnte nicht erkennen, dass es gestern noch jemand bewohnt hatte. 


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